[one_fifth]Schlägereien, Brandstiftung, Mord: Jahrhundertelang ist das Verhältnis von Studenten und Bürgern in Heidelberg angespannt. Rechtshistorik Klaus-Peter Schroeder stellte in einem Vortrag die Ursachen der mittelalterlichen „Studentenkriege“ heraus.
„Tod den Scholaren“, rufen die aufgebrachten Bürger an diesem Tag im Jahr 1406, und: „Bringt sie um!“ Und die wütende und bewaffnete Menge meint das durchaus ernst. Es ist der Auftakt eines der vielen „Studentenkriege“, die in der Universitätsstadt immer wieder aufflammen, sich in Scharmützeln entladen, Verletzte fordern – und immer wieder auch Tote.
Konfliktfrei war das Verhältnis zwischen Studenten und Stadtbevölkerung in Heidelberg nie; Bis heute herrschen wechselseitige Vorbehalte. Die Streitigkeiten sind so alt wie die Universität selbst, und sie waren zuweilen ausgesprochen heftig. Wie heftig, zeigte Klaus-Peter Schroeder in seinem Vortrag, den er am 2. Juli im Universitätsarchiv hielt.
Der Rechtshistoriker hat über die Studentenkriege geforscht, zu dem bislang wenig untersuchten Thema ein Buch verfasst. In seinem Vortrag legt er den Schwerpunkt auf die mittelalterlichen Anfänge des Konflikts, die Gründe seiner Entstehung. Zu dem Thema gekommen ist auch er über einen Umweg, nämlich das universitäre Rechtssystem.
Die Universität genießt im Mittelalter und bis weit in die Neuzeit hinein einen Sonderstatus. Sie hat ein eigenes Rechtswesen, wodurch ihre Angehörigen der städtischen Gerichtsbarkeit entzogen sind. Zudem dürfen sie Waffen tragen, müssen keine Steuern zahlen, keinen Wehrdienst leisten, sich nicht an der Instandhaltung der Stadtmauer beteiligen. „Die Universität“, so Schroeder „wird von den Einwohnern als Fremdkörper wahrgenommen.“
Auch das Verhalten der Studenten sorgt für Ärger. Das Regelwerk der Uni schreibt ihnen zwar ein geradezu mönchisches Leben vor: Keine Feiern, kein Alkohol, kein Kontakt zu Frauen. Doch das ist mehr frommer Wunsch als Wirklichkeit. Heidelbergs Studenten sind gefürchtet, weil sie ständig betrunken sind, keinem Streit aus dem Weg gehen, gegen Hauswände urinieren und auch mal eine Fensterscheibe einwerfen. Vonseiten der Bürger kommt es immer wieder zu Beschwerden über Vandalismus und Lärmbelästigung.
Schon 1406 kommt es zu ersten Auseinandersetzung, als Edelleute aus dem Gefolge des Kurfürsten einige Studenten verprügeln. Bei den folgenden Kämpfen schließen sich ihnen Bürger der Stadt an, überfallen die Bursen (Gemeinschaftshäuser) der Studenten und stecken sie in Brand. Einige Studenten flüchten sich in das Haus des Rektors, wo sie sich verschanzen. Als die Bürger es ebenfalls stürmen, versuchen sie, über das Dach zu fliehen. Von unten werden sie mit Pfeilen beschossen, den Herabstürzenden halten die Bürger Spieße entgegen. Es grenzt an ein Wunder, dass niemand zu Tode kommt.
Nachdem die Unruhen abgeebbt sind, fordert die Universität eine Bestrafung der Angreifer. Zum Zeichen des Protests tritt sie in den Lehrstreik. Der Kurfürst, um den Frieden bemüht, lässt die Missetäter in der Heiliggeistkirche öffentlich Buße tun. Auf eine weitere Bestrafung verzichtet er, verbietet aber fortan bei Todesstrafe, Mitglieder der Universität anzugreifen.
Im Folgenden kann die Universität erreichen, dass die Kurfürsten ihr öffentlich ihren Schutz aussprechen. Das liegt auch im Interesse der Kurfürsten selbst, profitieren sie doch vom Ansehen der Universität. Beruhigen aber wird sich die Lage vorerst nicht: „Die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts ist von zahllosen Konflikten geprägt“, erklärt Schroeder. Bereits 1422 bricht der nächste Studentenkrieg aus. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen und gewaltsamen Übergriffen. Die Studenten geraten in Scharmützel mit Heidelberger Bürgern, mit Handschuhsheimer Bauern und dem adligen Gefolge des Kurfürsten.
Erst nach der Umwandlung in eine staatliche Universität des Herzogtums Baden 1803-1805 normalisiert sich die Lage: Die Uni verliert ihren Sonderstatus, der Hauptgrund für den Konflikt fällt damit weg.
Das Verhältnis von Studenten und Einwohnern hat sich seitdem deutlich gebessert. Zwar gibt es auch heute noch gelegentlich Streit. Aber immerhin fordert niemand mehr den Tod der Studenten.
von Michael Abschlag