Mittelalterliche Traditionen zelebriert das berühmteste Pferderennen der Welt.
Betritt man die Stadt Siena durch eines der Stadttore, wird einem schnell klar, dass dieser Ort noch im Mittelalter lebt. Enge und dunkle Gassen, schwere steinerne Torbögen, beeindruckende Gebäude und eine hohe Mauer prägen das Stadtbild seit dem 13. Jahrhundert.
Im Zentrum des öffentlichen Lebens steht der Palio, ein mittelalterliches Pferderennen, das zweimal im Jahr, am 2. Juli und 16. August, ausgetragen wird. Für Außenstehende ist das Zelebrieren dieses Spektakels kaum vorstellbar.
Schon im Februar beginnen die 17 Contraden (Stadtbezirke) aus dem Winterschlaf zu erwachen und sich auf das große Ereignis vorzubereiten. Jede Contrada besitzt ihre eigene Kirche, ein Haus zur Aufbewahrung von Trophäen, mittelalterlichen Kostümen und Urkunden sowie einen Brunnen. Bis zu den wichtigsten Tagen Ende Juni feiern die Contradailoli (Einwohner einer Contrada) ihre Straßengemeinschaft mit kleinen Festen, gemeinsamen Abendessen und familiären Konzerten in den Gassen. Die Stadtbewohner verwandeln Siena in ein großes buntes Festival, das von Februar bis September dauert.
Gut einen Monat vor dem Palio gibt es eine Kundgebung, bei der sich ganz Siena versammelt, um zu erfahren, welche Contraden im Juli und welche im August teilnehmen können. Vor dem Palio beginnt jede Contrada mit ihren Trommeln und Fahnen durch die Straßen zu ziehen, um auf sich aufmerksam zu machen. Der Höhepunkt ist, wenn auf dem äußeren „Ring“ der Piazza del Campo eine 300 Meter lange Bahn aus Sand und Wasser aufgebaut wird sowie Tribünen, in der Mitte des Muschelplatzes finden die nicht zahlenden Zuschauer ihren Platz. Die Balkone und Fenster rund um die Piazza werden in festlichem Rot geschmückt.
An jedem dieser Tage findet jeweils abends und morgens eine Probe statt. Zuvor gibt es eine öffentliche Auslosung, welche Contrada welches Pferd für das Rennen zugewiesen bekommt. Bei den Proben kommt es oft zu Rivalitäten der Contraden. Jede Contrada besitzt verbündete Bezirke, allerdings auch verfeindete. Daher ist es eine inoffizielle Regel des Palios, dass es nicht wichtig ist, ob die eigene Contrada gewinnt. Hauptsache die verfeindete kann den Sieg nicht nach Hause tragen.
Am Haupttag des Pferderennens beginnt das Fest mit der Segnung der Pferde in den jeweiligen Kirchen. Danach starten die Märsche der Contraden und ziehen zum Campo. Dort findet der feierliche Einzug der Contraden als große Parade in den Palazzo Publico statt. Am Schluss kommt der von Ochsen gezogene Wagen mit den Würdenträgern und dem Palio.
Wenn alle versammelt sind, kann das Rennen beginnen. Die Startaufstellung auf engem Raum gestaltet sich schwierig und wird mit zum Teil heftigen Äußerungen kommentiert. Die Pferde müssen dann mit ihren Jockeys drei Runden laufen. Derjenige, der zuerst die Ziellinie überwindet, gewinnt am Ende das Palio, eine bunte Standarte, die jedes Jahr von wechselnden Künstlern entworfen wird und ein christliches Motiv aufweisen muss.
Außerhalb Sienas gerät die Behandlung der Tiere und die sich aggressiv äußernden Rivalitäten der Contraden häufig in die Kritik.
Von Maren Kaps
aus Siena, Italien