… mit Amy Neumann-Volmer, Humanmedizinerin und Mitglied bei „Ärzte ohne Grenzen“.
Sie waren nach dem Erdbeben 2010 in Haiti, im Bürgerkrieg der Zentralafrikanischen Republik (CAR) und in Dadaab, dem größten Flüchtlingslager der Welt in Kenia. Welcher Einsatz war für Sie am belastendsten?
Der schlimmste Einsatz war in CAR, Paoua, tief im Land, mitten in einem Bürgerkriegsgebiet mit vielen Flüchtlingen, Hunger, Gewalt, Vertreibung und Malaria-Epidemien.
Bei Ihrer Arbeit sind Sie täglich mit dem Tod konfrontiert. Verliert der Tod für Sie dadurch an Emotionen und wird „normal“?
Nie! Normal ist das falsche Wort, da der Tod die natürlichste Folge auf das Leben ist und an sich nichts anormales. Ich glaube, dass wann, wie und weshalb ein Mensch stirbt, einen großen Einfluss auf meine Reaktionen und Emotionen hat. Der unnötige Tod eines Kindes oder einer Schwangeren machen mich zum Beispiel wütend und traurig, denn dann ist der Tod nicht „normal“.
Wie viel Zeit für Trauer bleibt Ihnen in Kriseneinsätzen?
Die Nächte, wenn man keinen Dienst hat. Ich habe immer versucht, mir im Team die Zeit zu nehmen, um alles zu besprechen und abzulagern und so Schmerz und Ohnmacht teilen zu können. Dabei waren auch Briefe an die Familie essentiell.
Hatten Sie manchmal auch für sich selbst Todesängste?
Nein, nicht wirklich. Aber schon mal Angst: Zum Beispiel in Haiti nach dem Erdbeben, als es viele Nachbeben gab oder in Dadaab, wo die zu Recht aufgebrachte Flüchtlinge ihre Ohnmacht gegen uns richteten.
In den Leitlinien von „Ärzte ohne Grenzen“ wird die Arbeit als unabhängig, unparteiisch und neutral definiert. Gab es Situationen, in denen Ihnen diese Punkte schwer fielen?
Als Ärztin behandle ich alle Patienten in medizinischer Not. Die Frage ist vielmehr: Wie kann ich zu allen Menschen in Not Zugang haben, auch in Bürgerkriegsgebieten?
„Ärzte ohne Grenzen“ kann nur eine geringe Aufwandsentschädigung aufbringen und die Patienten vor Ort haben ebenfalls keine Mittel, um Sie für Ihre Arbeit zu entlohnen – wo liegt Ihre Motivation und was nehmen Sie aus den Einsätzen mit?
Ich bin leidenschaftlich Ärztin, ob hier oder dort. Und die Patienten entlohnen uns überall mehr als genug! Lohn ist nicht gleich Geld. Mein Beruf erlaubt es mir, in viele Länder zu reisen, zu arbeiten und die Menschen kennen zu lernen, ganz anders als wenn ich als Tourist hinkommen würde. Außerdem arbeite und lebe ich auf meinen Einsätzen mit fantastischen Menschen im Team zusammen. Vor allem Demut und Dankbarkeit nehme ich dabei mit. Das klingt pathetisch, ist aber so.
Das Gespräch führte Felix Hackenbruch.