Die brasilianische Kampfsportart Capoeira erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Auch in Heidelberg.
[dropcap]J[/dropcap]eder kann soweit kommen, wie er möchte!“ Ein Leitsatz, der schwer vorstellbar ist, wenn geübte Capoeristas Sprungtritte, Salti und akrobatische Manöver in einem schon fast spielerisch anmutenden Kampf gegeneinander ausspielen. In der Hochschulsportgruppe Capoeira scheint dieser Spruch Devise geworden zu sein. Hier trainieren jeden Dienstag Anfänger und Fortgeschrittene miteinander die immer populärer werdende brasilianische Kampfsportart. Sobald ein Neuling an einer komplizierteren Schrittfolge oder den typischen Trittbewegungen scheitert, sind erfahrenere Teilnehmer zur Stelle.
„Wir fokussieren diese Gruppendynamik, da Capoeira nur in der Gruppe richtig erlernt werden kann“, meint Trainer Markus Wingerath, der selbst vor neun Jahren als Geschichtsstudent in der seit 2003 bestehenden Hochschulsportgruppe Capoeira angefangen hat. Bis jetzt ist er dabei geblieben und darf als „graduierter“ Schüler selbst unterrichten. Die blaue Kordel an der sonst weißen Trainingskleidung ist visuelles Zeugnis dafür. Ähnlich wie bei anderen Kampfsportarten gibt es in Capoeira ein Stufensystem – allerdings werden keine Prüfungen abgelegt. Vielmehr entscheidet der Lehrer, welche Kordel der Schüler verdient. Anfänger erhalten die „corda crua“, die rohe Kordel. Die höchste Stufe ist die des „Mestre“ oder Meisters mit einer roten Kordel.
Einige der Teilnehmer sind erst seit einem Semester dabei, ein paar schon seit Jahren. Die Begeisterung für Capoeira teilen alle. Am Anfang des Trainings fängt Markus mit einfachen Schrittfolgen an. Stufenweise werden immer mehr Elemente eingebaut bis eine flüssige Bewegungsserie entsteht. Bezeichnungen wie „Ginga“, „Banda“ oder „Meia-Lua“ begleiten die Ausführungen. „Capoeira ist supercool! Am Anfang ist es etwas verwirrend, aber sobald man die Namen im Kopf hat, funktioniert es“, meint die Medizinstudentin Luisa lachend in der kurzen Pause zwischen zwei etwas komplizierteren Bewegungsabläufen.
Weiter geht es im Training mit der Imitation des Gegners. Immer ein Paar stellt sich gegenüber und führt spiegelverkehrt dieselben Bewegungen aus. Ein Rad schlagen, sich auf den Boden abrollen und wieder aufstehen – alles möglichst ohne den Gegner aus dem Auge zu lassen. Eine rasante Einlage der fortgeschrittenen Teilnehmer, die synchron ein Rad nach dem anderen durch die Halle schlagen, sorgt für Applaus und eine kleine Verschnaufpause.
„Capoeira ist das beste Bauch-Beine-Po-Training, das es gibt“, meint Markus grinsend. Aber Capoeira ist nicht nur ein Sport, sondern setzt sich vielmehr aus drei Komponenten zusammen: dem Kampf, der „Roda“ und der Musik. Was es mit den letzten zwei Punkten auf sich hat, wird in der letzten halben Stunde des Trainings klar. Alle Teilnehmer bilden einen Kreis um zwei Kontrahenten, die sich anfangs nahe dem zentral stehenden „Berimbau“-Spieler gegenüber hocken. „Berimbau“ ist ein zu Capoeira gehörendes Musikinstrument, bestehend aus einem stabilen Holzstab, an dem eine Saite aus Autoreifendraht aufgespannt ist.
Meistens ist der Trainer gleichzeitig der Musiker, da er mit dem Instrument den Rhythmus des Kampfes, oder – wie es im Capoeira genannt wird – „Spieles“ vorgeben kann. Begleitet wird die „Berimbau“ von dem tambourinähnlichem „Pandeiro“. Je nach Rhythmus müssen die Gegenspieler ihr Tempo von den langsameren, bodennahen Bewegungen zu schnelleren, höheren Tritten und Akrobatik wechseln. Während in der Mitte des Kreises miteinander gespielt wird, klatschen und singen alle in der „Roda“ Stehenden zum Takt der Musik. Hier gilt es nicht den Gegner zu Fall zu bringen, sondern in einem harmonischen Vor- und Rückspiel, Abwehr und Verteidigungsbewegungen aufeinander und auf die Musik abzustimmen. Jeder Teilnehmer im Kreis kann einen der Capoeiristas abklatschen und selbst anfangen zu spielen. Das Schauspiel der „Roda“ lässt den Ursprung von Capoeira schon erahnen.
Anfang des 18. Jahrhunderts wurde es von afrikanischen Sklaven in Brasilien erfunden. Da es ihnen verboten war, Kampftechniken zu erlernen, tarnten sie ihre Übungen mit tänzerischen Elementen und Akrobatik. In den „Quilomobos“, den Niederlassungen geflohener Sklaven, entwickelte sich Capoeira schnell weiter und wurde gegen Sklavenjäger eingesetzt. Später fand es Verbreitung als primäre Straßenkampftechnik von urbanen Banden und wurde deswegen schon bald verboten.
Mestre Bimba holte Capoeira wieder von der Straße, als nach einer seiner Vorführungen, das Verbot 1937 wieder aufgehoben wurde. Seitdem erfreut es sich immer größerer Beliebtheit überall auf der Welt. Die „Roda“ ist ein Gemeinschaftserlebnis, welches alle in der letzten halben Stunde noch einmal hat aufleben lassen. Einer der Studenten bringt es begeistert auf den Punkt: „Capoeira hat von allem etwas: Kampf, Sport und Musik!“
Von Monika Witzenberger