Heidelberg möchte an seine amerikanische Vergangenheit erinnern. Muss das sein?
Weit unten im Grund unterhalb der schwarzen Masse des Schlosses lag die Stadt am Fluss hingestreckt, und ihr verwickeltes Straßennetz war mit blinzelnden Lichtern geschmückt; es war, als wären alle Diamanten der Welt dort ausgebreitet worden.“ Mark Twain, 1880
22 Millionen Amerikaner sollen es gewesen sein, die von 1945 bis 2013 in Heidelberg gelebt haben. Egal ob Soldaten, Angehörige oder Zivilpersonal, sie alle prägten über fast sieben Jahrzehnte das Bild der Stadt. Ihnen will die Stadtverwaltung nun ein Denkmal setzen. Es soll ein großes werden. Für das „Mark Twain Center“ – geschmückt mit dem Namen eines der berühmtesten amerikanischen Literaten des 19. Jahrhunderts – könnte es keinen besseren Standort geben: die ehemalige Kommandantur und die Kommandeursvilla auf dem Gelände der Campbell Barracks in der Südstadt. „Wir planen das MTC an einem Ort mit weltgeschichtlicher Relevanz“, lässt Oberbürgermeister Eckart Würzner über seinen Pressesprecher verkünden. Und die Gefahr besteht, dass er das ernst meint. Denn es geht weiter: „Wir wünschen uns ein Zentrum, in dem die transatlantische Freundschaft dokumentiert, gefeiert und weiterentwickelt wird.“
Im Rathaus wird also mal wieder in großen Sphären gedacht – wir sind gespannt! Doch Würzner selbst hält sich zunächst einmal im Hintergrund. Stattdessen hat er den Direktor des Kurpfälzischen Museums, Frieder Hepp, ein Konzept ausarbeiten lassen. Ein kluger Schachzug, wird doch der friedvolle und verbindliche Hepp weit über die Stadtgrenzen geschätzt.
Seit 2013 hat er an dem Entwurf gearbeitet, den er im April dieses Jahres erstmals den städtischen Gremien vorstellte. Schnell wird klar, dass Frieder Hepp keine kleinen Brötchen backen möchte: „Das amerikanische Vermächtnis ist es wert, kulturgeschichtlich bearbeitet zu werden“, sagt er, hier in Heidelberg habe man nun die einmalige Chance, die historischen Gebäude zu nutzen. Die lange Tradition, die Heidelberg mit Amerika verbinde, gehe weit ins 19. Jahrhundert zurück.
Ihm schwebe ein Dreiklang aus „Forschung, Museum und Begegnungsstätte“ vor. Eine Dauerausstellung „Amerikaner in Heidelberg“ ist ebenso geplant wie eine Forschungsstelle für die Geschichte der US-Streitkräfte in Heidelberg, ein „internationales Kompetenz- und Bildungszentrum für Demokratie und sozialen Frieden“, außerdem ein „Skulpturen- und Erlebnispark“. Natürlich müsse alles „sehr modern“ werden, mit „Film, Musik, Interaktion“.
Hepp betont, dass man aber noch ganz am Anfang stehe. So sei erst einmal eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben worden, die derzeit den Zustand der Gebäude untersuchen. Erst dann könne man weitersehen. Es sei aber schon eine „reizvolle Geschichte“, freut er sich.
„Diese Stilisierung Heidelbergs als das ‚Drehkreuz weltpolitischer Entscheidung‘ halte ich für verkehrt“, poltert Jakob Köllhofer. Vom Leiter des Deutsch-Amerikanischen Instituts (DAI) und Kooperationspartner am „Mark Twain Center“ müsste man eigentlich ein flammendes Bekenntnis erwarten. Das DAI sei, so OB Würzner, vor allem für „den Aspekt Austausch, Begegnung, Bildung und Kultur“ zuständig.
Allerdings liegt es Köllhofer fern, sich in das Harmoniebedürfnis des OB und seines, wie er ihn nennt, „Freundes“ Frieder Hepp einzufügen. Besonders am historischen Fokus stört er sich: „Es ist ein Bild, das zu sehr von der Sicht des Historikers geprägt wird, ich glaube, dass es ein Staubfänger wird.“ Tatsächlich, so muss man es heraushören, beteilige er sich mit dem DAI nur an dem „Center“, um entsprechende Räume auf den Konversionsflächen abzubekommen. „Wir platzen aus allen Nähten“, klagt der DAI-Direktor, „soziokulturell fahren wir Schmalspur“.
Neben den üblichen Veranstaltungen wie Lesungen und Slams möchte Köllhofer vor allem Platz für seinen „Makerspace“, einen öffentlichen Raum, in dem Besucher in der Bibliothek des Hauses Geräte wie 3D-Drucker und -Scanner sowie Elektronikbaukästen ausprobieren und an zahlreichen Workshops teilnehmen können. „Bisher ist dieses Center nur ein Marketing-Gag mit losen Phrasen. Wenn der Gemeinderat Feuer und Flamme sein sollte, soll er das machen, mich hat es nicht überzeugt.“
Vierter in dieser Männerriege ist eigentlich Detlef Juncker, Gründungsdirektor des Heidelberg Center for Amercian Studies (HCA). Schon lange fordert er einen Standort für das HCA auf den Konversionsflächen, nun ist er „nur“ einer von drei Kooperationspartnern. Ein Gespräch mit dem ruprecht lehnte er allerdings ab. Als er im April im Konversionsausschuss zum Zentrum befragt wurde, fügte er sich aber dem Anspruchsdenken Würzners: „Think Big“ sei sein Motto, ein „international besetztes Ehrenkomitee“ könne in den USA für Spenden werben – „das kann uns Millionen bringen“.
Ob das Wunschdenken oder eine realistische Einschätzung ist, werden die nächsten Monate zeigen. Judith Marggraf, Gemeinderätin und Vorsitzende der Fraktion aus GAL, Generation-HD und „HD pflegen und erhalten“, ist da skeptisch. Sie halte ein solches Zentrum für „durchaus richtig“, will aber „nicht noch ein Museum“ in Heidelberg. „Die Stadt hat gerade echt größere Aufgaben als dieses Mark Twain Center.“ Eine große finanzielle Unterstützung des Gemeinderates sei im Moment nicht absehbar. Sie glaubt aber, dass sich auf dem Weg zu Geldern das Konzept noch anpassen werde. „Das war ein erster Aufschlag, warten wir den nächsten ab.“
Im Oktober sollen die Ergebnisse der Machbarkeitsstudie veröffentlicht werden, dann dürfte sich schon recht bald zeigen, wo die Reise für das „Mark Twain Center“ hingeht. Wird es ein weiterer Punkt auf der langen Liste gescheiterter Heidelberger Großprojekte? Soll es dies nicht werden, muss sich die Konzeption des Ganzen dringend schärfen. Denn im jetzigen Zustand dürfte das „Mark Twain Center“ Heidelberg vor allem als Selbstvergewisserung seiner eigenen historischen Bedeutung dienen. Oder will der gemeine Heidelberger gerade das: es sich im Liegestuhl des Skulpturenparks bequem machen und Mark Twain zur Hand nehmen?
Man glaubt, Heidelberg – mit seiner Umgebung – bei Tage sei das
Höchstmögliche an Schönheit. Mark Twain
Von Michael Graupner