Mit „Montecristo“ wagt sich Martin Suter an die ganz großen Themen: Politik, Hochfinanz, Bankenrettung. Das Potential für einen richtig starken Krimi wäre also da. Ganz ausgeschöpft wird es aber leider nicht.
Ein französischer Seemann fällt der Verschwörung dreier Männer zum Opfer und landet auf einer Gefängnisinsel. Später flieht er aus dem Gefängnis und rächt sich, indem er sie in den Ruin treibt. Das ist, kurz zusammengefasst, die Handlung von Alexandre Dumas‘ berühmten Roman „Der Graf von Monte Christo“, einem Klassiker der Weltliteratur. In Martin Suters „Montecristo“ aber bekommt es Protagonist Jonas Brand gleich mit einer ganzen Welt von Verschwörern zu tun: Banken, Regierung, Kultur – alle stecken sie unter einer Decke. Denn es geht um eine richtig große Sache, die niemals an die Öffentlichkeit geraten darf. Anderenfalls droht eine globale Finanzkrise mit unabsehbaren Folgen. Aber der Reihe nach.
Jonas Brand ist ein freischaffender Video-Journalist in Zürich, der vor allem für ein Boulevard-Magazin arbeitet, aber von einer Karriere als Investigativ-Reporter träumt – oder, noch besser, als Filmschaffender. Da entdeckt er plötzlich in seinem Besitz zwei Banknoten mit identischer Nummer. Was noch überraschender ist: Beide sind echt, was eigentlich unmöglich ist. Brands Neugier ist geweckt.
Er beginnt zu recherchieren und stößt dabei auf eine Reihe ungeklärter Fragen: Wie stecken die Schweizer Notendruckerei Coromag und die Großbank GCBS zusammen? Was hat der vermeintliche Unfalltod eines Bankers damit zu tun? Und warum wird bei Brand eingebrochen, er selbst wenig später niedergeschlagen? Brand selbst begreift erst allmählich, das er mit seinen Recherchen in ein Wespennest gestoßen ist. Seine Ermittlungen werden blockiert, er selbst erhält plötzlich verlockende Angebote. Offenbar ist er einigen höchst einflussreichen Personen auf die Füße getreten. Nun will man ihn von der Story wegholen. Und dann gibt es auch noch seine neue Freundin: die schöne, aber geheimnisvolle Marina Ruiz.
Eigentlich also genug Stoff für einen packenden Thriller aus der undurchschaubaren Halbwelt von Bankenwesen und Politik. Scheint doch in „Montecristo“ jeder mit Rang und Namen Teil eines unsichtbaren Netzwerkes zu sein, gleichen Brands Recherchen dem Kampf gegen einen Riesen. Das Gespinst von Seilschaften böte allemal genug Potential, um nicht nur Verschwörungstheoretiker zu begeistern, zumal die Handlung an einigen Stellen mit interessantem Faktenwissen gespickt ist. Ja, Suters „Montecristo“ hätte ein ganz großer Wurf werden können.
Doch leider ist der Roman nicht der von vielen erhoffte große Krimi zur Finanzkrise, der er sein könnte. Dazu kommt die Handlung zu langsam in Schwung und beginnt mit zu viel Schweizer Behäbigkeit.
Zwar wird das Buch tatsächlich ziemlich spannend – aber eben erst ab Seite 163. Und selbst dann bleibt noch manches eine Spur zu vorhersehbar. Ein paar Wendungen mehr hätten der Handlung gut getan, und vor allem das Szenario des unsichtbaren und übermächtigen Gegners hätte wohl noch deutlich mehr an Spannungselementen hergegeben.
Seine besten Szenen hat das Buch fraglos immer dann, wenn sein Protagonist ins Fadenkreuz gerät, doch Suter nimmt ihn leider immer eine Spur zu früh wieder aus der Schusslinie, vielleicht aus Mitleid mit seiner Hauptfigur. Schön für Brand, aber schade für den Leser, denn so bleiben die Möglichkeiten des Romans unausgeschöpft.
Dennoch ist „Montecristo“ dank seines angenehmen Stils und seiner interessanten Thematik durchaus lesenswert. Zudem gelingt es dem Buch, komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen. So bleibt es allemal eine unterhaltsame Lektüre für die Semesterferien. Und auch eine intelligente kleine Studie zu Geld, Macht und der Systemrelevanz von Banken.
von Michael Abschlag
Montecristo
Diogenes, 320 Seiten, 23,90 Euro