Jährlich veranstaltet der Schriftsteller Wladimir Kaminer in Heidelberg eine Russendisko. Ein Gespräch über Flucht, Ankunft und die Provinz.
Wladimir, welche Frage hörst Du am häufigsten in Interviews?
Wladimir Kaminer: In welcher Sprache träumen Sie?
Und was ist die Antwort?
Es kommt darauf an für welche Themen. Wenn ich zu deutschen Themen, wie meiner Steuererklärung träume, dann auf Deutsch. Wenn ich über den Aufbau des Sozialismus träume, dann auf Russisch.
Du wirst häufig beschrieben als der Russe, der den Deutschen die Deutschen erklärt. Wie siehst Du das?
Ich persönlich teile die Menschen nicht nach ethnischen Prinzipien ein. Ich glaube gerade in der aktuellen Zeit stehen Menschen auf allen Kontinenten vor ähnlichen, wenn nicht gleichen Problemen. Sehr viele Grenzen sind verschwunden, die Mauer wurde niedergerissen. Unterschiede fallen weg oder verlieren ihre Wichtigkeit. Diese Situation birgt sehr viele Chancen für uns, ein besseres Zusammenleben auf dem Planeten aufzubauen. Aber natürlich auch viele Risiken. Ob wir es schaffen, steht in den Sternen. Ich persönlich glaube kaum daran, gebe mich nach außen aber immer sehr optimistisch.
Derzeit kommen viele Flüchtlinge nach Europa und Deutschland. Wie erlebst Du die aktuelle Situation?
Ich erinnere mich an meine eigene Flucht. Meine Nachbarn in Berlin, sehr engagierte, bewusst lebende Menschen, haben sofort Decken für Syrer in einer Unterkunft gleich um die Ecke gesammelt. Sie haben sich mit diesen Syrern angefreundet. Daraufhin habe ich mich an die Flüchtlingswelle in unserer Familie erinnert und letzte Woche gleich drei Geschichten darüber geschrieben. Darüber, wie meine Mutter 1941 aus Moskau vor den Nazis fliehen musste. Wie meine Schwiegermutter aus dem Kaukasus aus dem tschetschenischen Krieg weggegangen ist. Wie ich selbst 1990 nach Deutschland kam, obwohl meine Flucht oder Reise wahrscheinlich von allen dreien am unbeschwerlichsten war. Aber ich gebe Dir recht: Zurzeit scheint die halbe Welt auf der Flucht zu sein und die andere Hälfte bereitet sich darauf vor.
Was hat Dir denn am meisten geholfen, um in Deutschland anzukommen?
Mir hat die soziale Gerechtigkeit geholfen. Zumindest das, was als soziale Gerechtigkeit bezeichnet wird. Dass ich nicht gleich verdonnert wurde, auf der Straße nach einem Job zu suchen, sondern dass ich die Möglichkeit hatte, zu studieren. Ich habe Unterstützung erfahren von staatlichen Einrichtungen, sowie von der Gesellschaft im Allgemeinen. Auf diese Weise konnte ich ein eigenständiges Leben aufbauen. Ich finde, das ist wichtig.
Du veranstaltest regelmäßig Russendiskos im Kaffee Burger in Berlin. 2001 fand die erste Russendisko außerhalb von Berlin statt, ausgerechnet in Heidelberg. Warum hier?
Das musst Du meinen Freund Rainer (Geschäftsführer des Karlstorbahnhofs, Anm. d. Red.) fragen. Er hat uns eingeladen.
Kannst Du etwas dazu sagen, Rainer?
Rainer Kern: Ich bin auf einer Lesung in Wiesloch auf Dich aufmerksam geworden. Da bin ich danach zu Dir hingegangen und habe gesagt: ‚Herr Kaminer, ich heiße Rainer Kern und möchte Sie gerne einladen, in Heidelberg im Karlstorbahnhof zu lesen und eine Russendisko zu machen’. Da hast Du mich angeguckt und hast gesagt: ,Ich bin aber sehr teuer‘ und dann habe ich gesagt: ‚Ist egal, ich mach’s trotzdem‘. Und so kam’s, seither kommst Du her.
Wladimir Kaminer: Wie viel habe ich denn damals genommen?
Rainer Kern: Du warst nicht teuer. Du hast nur einen Witz gemacht.
Und warum kommst Du immer wieder?
Wladimir Kaminer: Ich bin ein konservativer Mensch, ich mache jedes Jahr fast dieselbe Route. Ich bin einmal auf Sylt, ich lese an der Ostsee im August, im Winter mache ich immer in der Berliner Volksbühne russisches Weihnachten mit Disko für alle, die nicht zu Hause sitzen wollen an diesem heiligen Abend und einmal im Jahr komme ich zu Rainer zum Karlstorbahnhof, lese neue Geschichten und lege hier auf.
Im Juni bist Du durch die deutsche Provinz gereist und hast Dich dabei vom ZDF filmen lassen.
Filmen lassen. Du stellst dir das so einfach vor. Das war eine knochenharte Arbeit, der schwierigste Job, den ich je hatte. Physisch. Für einen Schriftsteller war das sehr ungewöhnlich: Jeden Tag um sieben Uhr aufstehen, um acht Uhr aufbrechen, immer mit einem Team, nie allein. Sieben Menschen, sieben Tage lang unterwegs. 12 bis 13 Stunden Arbeitstag ohne Mittagspause. Höchstens mit einem Brötchen in der Hand. Das ist hart.
An welchem Ort wärest Du gerne geblieben?
Diese ZDF Redaktion, die sich das Programm ausgedacht hat, schickte mich zu den exotischsten Ecken Deutschlands. Ich war im Saarland, im Schwarzwald, in der Eifel, naja die Eifel! Ich würde sagen, die Eifel ist schon wie auf einem anderen Planeten. Die Eifel ist sehr interessant. Und Meck-Pomm ist auch ein besonderer Ort, da gibt es so so so viel freie Fläche. Da kann man, glaub ich, ganz Syrien umsiedeln, vorausgesetzt die wollen das. Aber bleiben möchte ich eigentlich nirgendwo dort, mir gefällt’s in Berlin ganz gut.
Welche Frage wolltest Du schon immer mal in einem Interview beantworten, nur hat sie Dir bisher keiner gestellt?
(denkt nach) Ich habe in meinem langen Schriftstellerleben unglaublich viele Interviews gegeben. Und bin zu einem professionellen Fragebeantworter geworden. Eigentlich kann ich so vom Gefühl her jede Frage beantworten. Bloß bei manchen muss man länger nachdenken. Frage und Antwort sind ja im Grunde genommen Teil von einem Satz. Je mehr Inhalt die Frage bietet, umso inhaltvoller muss die Antwort auch sein. Deswegen brauchen manche Fragen einfach mehr Zeit. Manche anderen kann man gleich beantworten. Ich glaube wie gesagt, ich kann jede Frage beantworten, also qualifiziert beantworten, eine begründete Antwort. Eine nachvollziehbare Antwort.
Wie geht’s Dir gerade direkt vor der Lesung?
Ich bin ein wenig aufgeregt. Das neue Buch ist gerade erschienen und ich weiß noch immer nicht, welche Geschichte besser zum Vorlesen taugt.
Das Gespräch führte Margarete Over