Am 9. November jährte sich zum 77. Mal die Reichspogromnacht. Auch in Heidelberg kam es damals zu schweren antisemitischen Krawallen.
Es ist zwei Uhr nachts, als Rauch in der Heidelberger Altstadt aufsteigt. Die alte Synagoge in der Großen Mantelgasse, die nur fünfzig Meter vom Marstall entfernt liegt, steht in Flammen. Uniformierte Mitglieder der SA haben den Brand gelegt und hindern die anrückende Feuerwehr am Löschen.
Es ist eine Woge der Zerstörung und Gewalt, die in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 das gesamte Deutsche Reich erschüttert. In der Universitätsstadt am Neckar werden jüdische Geschäfte, Wohnungen und Gebetsstuben verwüstet und geplündert – unter Beteiligung zahlreicher Heidelberger Studenten und Schüler. Die örtliche Polizei hingegen sieht den antisemitischen Übergriffen tatenlos zu. In den frühen Morgenstunden brennt eine weitere Synagoge – diesmal in Rohrbach. 150 Heidelberger Juden werden im Laufe des Tages von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen und in das KZ Dachau deportiert. Später sollte diese Nacht aufgrund der vielen zerbrochenen Schaufensterscheiben den Namen Reichskristallnacht erhalten. Die offiziell propagierte „Entladung von spontanem Volkszorn“ stellt sich bald als genau gelenkte Aktion der NS-Führung heraus. Es ist der Beginn der systematischen Verfolgung und Enteignung der Juden in Deutschland.
Zum Jahrestag dieser Ereignisse wurde am vergangenen Montag, dem 9. November, eine öffentliche Gedenkfeier in Heidelberg veranstaltet, zu der die Stadt gemeinsam mit der Jüdischen Kultusgemeinde und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit eingeladen hatte. Den Opfern wurde auf dem ehemaligen Platz der Synagoge in der Großen Mantelgasse gedacht, wo in besagter Nacht die Flammen den Auftakt für die Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung in Heidelberg bildeten. Seit 1978 steht hier ein Mahnmal, das an die Ereignisse erinnert. Weiße Pflastersteine auf dem Platz markieren heute die Außenmauern der ehemaligen Synagoge, dazwischen zwölf dunkle Steinblöcke – Symbole für die Sitzbänke, die hier einst standen.
Kurz nach den Novemberpogromen 1938 versucht der Großteil der Juden in Heidelberg auszuwandern. Diejenigen, die bleiben, schätzen die Gefahr falsch ein, welche sie in den kommenden Jahren erwarten sollte. Nur die wenigsten von ihnen überleben. Eine schmerzhafte Erinnerung auch in der heutigen Zeit, in der offen diskutiert wird, ob Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Diskriminierung fliehen, mit Zäunen und Stacheldraht vor unseren Grenzen abgewiesen werden sollten. Eine Zeit, in der Fremdenhass und Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung wieder zunehmen. Wo aufgrund von Vorurteilen und Rassismus zwar keine Synagogen, aber dafür Flüchtlingsheime und Turnhallen in Brand gesteckt werden.
Von Kai Gräf