Wie die Kunstwelt getäuscht wurde und warum das überhaupt möglich war.
Im Jahr 2006 erwarb das maltesische Unternehmen Trasteco vom namenhaften Kunsthaus Lempertz in Köln ein Campendonk-Gemälde zum rekordverdächtigen Preis von rund 2,9 Millionen Euro. Wieviel Staub das darauf folgende naturwissenschaftliche Gutachten über die Echtheit des „Roten Bild mit Pferden“ auf dem Kunstmarkt aufwirbeln sollte, hatte niemand vorausgesehen. Das Gemälde enthielt Pigmente von Titanweiß, das im Gegensatz zu Zinkweiß, zur Schaffenszeit Campendonks im 20. Jahrhundert noch nicht hergestellt werden konnte.
Die Spur des Campendonk ließ sich zu Wolfgang Beltracchi zurückverfolgen und trug dazu bei, ihn seiner Jahrzehnte langen Tätigkeit als Kunstfälscher zu überführen. Beltracchi und seine Mittäter wurden für die Fälschung von vierzehn Gemälden und deren Verkauf für geschätzt sechzehn Millionen Euro angeklagt und verurteilt. Die genaue Anzahl der von ihm stammenden Fälschungen, die auf dem Kunstmarkt kursieren, bleibt bis heute unbekannt.
Zweifellos werfen Fälle wie der Beltracchis viele Fragen auf. Zum Beispiel wie es überhaupt möglich sein kann, dass gefälschte Bilder über Jahre hinweg unentdeckt auf einem Markt gehandelt werden, der immerhin unter der Aufsicht von Experten und Gutachtern steht. Beltracchi ist überzeugt, er hätte „auch 2000 Bilder malen können“. Der Markt hätte sie aufgenommen. Er stellt die Handelsforen der Kunst als attraktionsgierig und überschwänglich optimistisch dar. Es werde an die Echtheit der Bilder geglaubt, weil man wolle, dass die Bilder echt sind. Was gibt es denn Schöneres für Kunstliebhaber, als das Auftauchen verschollen geglaubter Schätze aus der Vergangenheit?
Zudem bedeutet das Auftauchen und die Veräußerung derartiger Gemälde auf Auktionen Profit und zwar nicht allein für den Fälscher. Acht bis neun Prozent des Auktionspreises kann die Expertise eines Fachmannes, der die Echtheit eines Bildes bestätigen soll, kosten. Zudem fordern auch Kunst- und Auktionshäuser ein Stück vom Kuchen in Form von Provisionen, Zuschlägen und Gebühren. Aber lässt sich die oben genannte Frage auch beantworten ohne dem Kunstmarkt Korruption oder Naivität zu unterstellen?
Ein derartiger Erklärungsversuch fand in Form eines Experiments des Instituts für Psychologie und des Instituts für Europäische Kunstgeschichte in Heidelberg unter Leitung Henry Keazors, Professor für Neuere und Neueste Kunstgeschichte, statt. Einer 150-köpfigen Versuchsgruppe aus Studenten und promovierten Fachleuten für Kunstgeschichte wurden Gemälde Picassos, Chagalls, Hundertwassers und anderer Koryphäen der Kunstgeschichte präsentiert. Hierbei handelte es sich jedoch nicht nur um Originale, sondern auch um mal mehr, mal weniger offensichtliche Fälschungen.
Die Hälfte der Versuchsgruppe hatte die Aufgabe die Gemälde zu betrachten und Mutmaßungen darüber anzustellen, bei welchem Bild es sich um ein Original und bei welchem es sich um eine Fälschung handelt. Die andere Hälfte wurde ausführlich darüber aufgeklärt, bei welchen der Werke es sich um eine Fälschung handelt und anhand welcher Merkmale dies festgemacht werden kann. Anschließend sollte die Gruppe die Bilder begutachten und Aussagen darüber treffen, ob sie die Fälschungen auch ohne Instruktion identifizieren hätten können, wozu sich die Mehrheit der Probanden in der Lage sah.
Diese nachträglich positive Einschätzung der eigenen „Prognose-Kompetenz“ erklärt Psychologe Max Vetter, Versuchspartner Keazors, mit dem sogenannten „hindsight bias“ dem „Rückschaufehler“.
Der Rückschaufehler ist ein psychologisches Phänomen. Laut diesem schätzt man seine eigene Prognose-Kompetenz im Nachhinein höher ein, als sie letzten Endes tatsächlich war. Dieser Effekt verstärkt sich, je höher man sein eigenes Expertenwissen einschätzt. Somit wiegen sich die Experten der Kunstwelt nach einem Skandal, wie dem Belltracchis, „in falscher Sicherheit“ mit der Meinung: da die Fälschung ja „so offensichtlich“ war, könnte so etwas nicht noch einmal unentdeckt bleiben.
Ob man nun, wie die Beteiligten des Heidelberger Experiments, von einer unbewussten Verzerrung der Wahrnehmung im Nachhinein ausgeht, oder doch lieber von der bloßen Käuflichkeit des Kunstmarktes und seiner Experten, bleibt jedoch zuletzt wohl jedem selbst überlassen.
von Jonas Schmitt