In einer Wanderausstellung zeigt das selbstverwaltete Studierendenwohnheim Collegium Academicum die Geschichte seiner Gründung 1945 über die Schließung und polizeilichen Räumung 1978 bis zum heutigen Wiederaufstreben.
[dropcap]D[/dropcap]ie Demokratisierung der Jugend – dieser Aufgabe musste und wollte sich Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg stellen. Und diesem Zweck hat sich auch 1945 die Gründung des selbstverwalteten Studierendenwohnheims Collegium Academicum (CA) verschrieben. Zum 70-jährigen Jubiläum der Eröffnung widmet sich die Ausstellung „Collegium Academicum: Gemeinsam leben und lernen 1945–2015“ der Geschichte des Wohnheims seit der Gründung bis zur Schließung im Jahr 1978 und dem kleinen, doch aufstrebenden Fortbestehens in heutiger Zeit.
Im heutigen Carolinum, dem Gebäude der zentralen Universitätsverwaltung, erwuchs damals das Zentrum selbstverwalteten Studierens. Wie auch das zur selben Zeit entstandene Leibniz-Kolleg in Tübingen erarbeitete das CA ein breites Bildungsangebot, aus dem sich das umfassende Studium Generale entwickelte. „Das Studium Generale […] soll den Studenten vor der Gefahr geistiger Isolierung im bloßen Fachstudium bewahren“, ist der Anspruch der damaligen Gemeinschaftssatzung.
Nach dem Entschluss, sich im Sinne eines Forums nach außen zu öffnen, standen die Gemeinschaftsräume allen Studierendengruppen zur Verfügung. Zur Zeit der Studierendenbewegung fanden dort zunehmend linke Gruppierungen Raum. So wuchs die Verbindung zwischen der linken Studierendenszene und dem CA. Trotz der Vielfalt des internen Meinungsspektrums wurde in der Wahrnehmung von Universität und Öffentlichkeit die linkspolitische Radikalisierung mit dem CA verknüpft. Das führte 1975 zur Anordnung der Schließung und drei Jahre später zur polizeilichen Räumung des Gebäudes.
Heute findet man Namen und Gedanken des CA in einem kleinen Haus in der Plöck 93 wieder, wo eine elfköpfige studentische Hausgemeinschaft in Selbstverwaltung lebt. Doch wehrt man sich dort, in der Tradition lebender Schatten der Vergangenheit zu sein. Den Gedanken selbstverwalteten Lebens und Lernens trägt die Hausgemeinschaft weiter und versucht, dem wieder Ort und Raum zu geben. Aus der heutigen Hausgemeinschaft entwickelte sich eine Projektgruppe, die die Ausstellung konzipierte und erarbeitete. Dadurch wird sie in erster Linie zur kritischen Auseinandersetzung und Aufbereitung eigener Geschichte, schlägt aber ebenso Bezüge zu Nachkriegs- und Stadthistorie.
Erfahrbar wird die Wohnheimsgeschichte durch Texttafeln sowie historische Überreste, die auf Dachböden gefunden und aus Archiven gegraben wurden: das goldene Buch mit der Unterschrift von Theodor Heuss, die ehemalige Satzung, Notizen, Fotos, Zeitschriften. Zusätzlich schaffen die als Audiodatei verfügbaren Zeitzeugeninterviews einen subjektiven Erlebniszusammenhang. Das Programm ergänzten die jeweiligen Eröffnungsvorträge: Historiker Gerd Koenen erzählte von den Studentenprotesten und der linkspolitischen Entwicklung der 1970er Jahre. Später widmete sich Gerd Steffens der Vorgeschichte. Er berichtete über die gedankliche Orientierung und Stimmung im CA: von Verdrossenheit und Einfalt, von Austausch und Horizontöffnung als Reaktion. „Was den Wert des CA aber ausmacht, ist ein nicht bloß institutionelles, sondern viel mehr gesellschaftliches Verständnis von Demokratie.“
Seit September durchwanderte die Ausstellung mehrere Stationen und ist zurzeit im Universitätsmuseum beheimatet. Dort verweilt sie noch bis zum 31. Dezember 2015.
Von Christina Deinsberger