Roller Derby erobert Heidelberg und Mannheim. Der neue Trendsport? Mitnichten! Vielmehr ein Sport für echte Enthusiasten.
[dropcap]E[/dropcap]in schriller Pfiff und sie schießen los. Energisch versucht eine tätowierte Frau, an die Spitze des Gedränges zu gelangen. Die anderen blockieren ihr den Weg. Ein kraftvolles Schieben und Stoßen, wundersamerweise verliert niemand das Gleichgewicht. Im Pulk rauschen die Spielerinnen am Trainer vorbei. Ein erneuter Pfiff ertönt. Zwanzig Rollschuhe stellen sich quietschend in den Pflug – doch nicht alle Skaterinnen bremsen gleich schnell und es kommt zu einer Karambolage auf der Fahrbahn. Nachdem sich unter Gelächter jede wieder auf die eigenen Beine gestellt hat, geht es kampflustig in die Knie für die nächste Runde.
Es ist Sonntagabend im Eisstadion Friedrichspark in Mannheim und die Sportlerinnen trainieren für die nächste Saison. Roller Derby nennt sich ihr rasanter Sport, der auf klassischen Rollschuhen gespielt wird. Das Treiben auf der Rollbahn ist der weltweit am schnellsten wachsende Vollkontaktsport und bedarf doch einiger Erklärung. „Es ist vielleicht wie Rugby auf Rollen, aber mehr wie Schach“, versucht sich Trainer Chris Marino* lachend an einem Vergleich. Seit Januar 2014 trainieren die „Rhein Neckar Delta Quads“ mehrmals wöchentlich. Damit stehen sie in der Bundesliga, die dieses Jahr zum zweiten Mal stattfand, mittlerweile auf dem zweiten Platz der 3. Tabelle.
Es ist vielleicht wie Rugby auf Rollen, aber mehr wie Schach
Die Spielerinnen gesellen sich in voller Montur inklusive Mundschutz an den Rand der Bahn. „Kraff, haft du gefehen, waf iff grad für einen Affentfahn drauf hatte?“, lispelt Julia Beins* außer Atem und greift zur Wasserflasche. Als Neuling, genannt „Fresh Meat“, musste Julia zunächst einmal sicher auf den Rollen werden: Slalom, Rückwärtsfahren – und vor allem Bremsen – will gelernt sein. Für das Spiel sind jedoch Strategie und eine Analyse der Gegner ebenso entscheidend. Im Training wird deren Taktik sogar in Videos genauestens unter die Lupe genommen. Diese Vorbereitung ist wichtig, denn in Wettkämpfen kommt es auf schnelle Reaktionen an.
Im Roller Derby treten fünf Spielerinnen pro Mannschaft auf einer 33 Meter langen Ovalbahn gegeneinander an. Einen Ball gibt es nicht. Sobald der Startpfiff ertönt, fahren alle Skaterinnen in dieselbe Richtung. Eine Punktemacherin jedes Teams versucht, sich nach vorne zu drängen, während jeweils vier Blockerinnen die gegnerische Punktemacherin aufhalten und gleichzeitig der eigenen den Weg frei machen. Denn pro überrundeter Gegnerin sammelt diese sogenannte Jammerin einen Punkt. Sobald beide Jammerinnen durch die gegnerische Mauer gebrochen sind, kommt die Verfolgungsjagd richtig in Fahrt.
Eine Spielrunde dauert höchstens zwei Minuten, aber nach einer Stunde mit Halbzeitpause sind die Skaterinnen mächtig außer Atem. „Das ist wie Eisschnelllauf, nur kommen immer wieder Hindernisse“, erklärt Trainer Chris, der in der Derby Szene auch Bruise Wheelis genannt wird. Er imitiert mit dem Zeigefinger die erste Jammerin und lässt mit der anderen Hand vier Blocker auf einer imaginären Ovalbahn Stellung beziehen. Alles dreht sich im Kreis, die komplizierten Regeln sorgen anfangs für Verwirrung.
Als Zuschauer komme man im Stadion aber trotzdem auf seine Kosten, so die Mitbegründerin der Delta Quads, Jette Rautmann*: „Das ist einfach eine geile Show“. Das hiesige Interesse an der Sportart zeigte sich bereits bei drei Heimspielen. Während die leeren Ränge bei Turnieren der Inline-Hockey Herren oft ein trauriges Bild abgeben, schaffte es die Mannschaft schon beim ersten Spiel im April, etwa 500 Neugierige und Fans in das Stadion im Friedrichspark zu locken. Dabei müsse jedoch niemand glauben, die Tribünen füllten sich von selbst, so Trainer Chris. „Wir stecken alle unglaublich viel Zeit und Energie hinein“. Da der Verein komplett ehrenamtlich organisiert ist, schwitzen die Spielerinnen zusätzlich zum Training auch beim Verteilen von Flyern und Aufhängen von Postern. „Unser Design ist so cool, dass die Plakate immer wieder geklaut werden“, freut sich Julia, die auf der Fahrbahn Joy Slammin heißt. Stolz verweist sie auf ihre Teamkollegin Verena Diehl* alias Kobra Killjoy, die ihre Zeichenkünste einmal nicht als Tätowiererin, sondern für das Design des Teams zu Papier brachte.
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Eindrücke der Roller Derby Mannschaft Mannheim (Bilder: Arne Marenda)
[dropcap]I[/dropcap]n Deutschland wurde der Sport erst vor wenigen Jahren populär, aber die Anfänge reichen weit zurück in die USA der 1930er Jahre. Ursprünglich war Roller Derby ein etwas eigenwilliger Rennsport, bei dem die Teilnehmer auf der Rollschuhbahn eine Distanz von über 4800 Kilometern zurücklegen sollten – die Entfernung zwischen New York und Los Angeles. Die zahlreichen Rempeleien auf der Fahrbahn und daraus resultierenden Verletzungen führten jedoch bald zum Ende der ersten Roller Derby Generation.
Eine Gruppe von Sportjournalisten machte 1940 aus den Fehlern eine Tugend und inszenierte den ruppigen Sport als publikumswirksames Spektakel. Fouls wurden oftmals im Vorhinein abgesprochen, um den Fans eine möglichst spannende Show zu bieten. Stark kommerzialisiert war Roller Derby in den USA über 30 Jahre lang ein Publikumsmagnet, bis Konkurrenzkämpfe unter den vielen verschiedenen Derby-Organisationen den Sport zum Erliegen brachten. Roller Derby verschwand erneut in der Versenkung und tauchte um das Jahr 2000 als punkiger Amateursport wieder auf.
Im Gespräch mit den Rollergirls fallen dann auch im Sekundentakt englische Fachwörter: „Hast du beim letzten Bout gesehen, wie die Jammerin ihren Star-Pass zum Pivot übergeben hat?“ Wenn einmal eine Schraube am Rollschuh locker ist, wäre es wohl banal, von einem Werkzeug zu sprechen. Das „Tool“ muss her. Dieses Kauderwelsch mag gewöhnungsbedürftig klingen, erleichtert aber tatsächlich die Kommunikation in der europaweit eng vernetzten Derby Gemeinschaft. Außerdem festigt der Slang das Gefühl, Teil einer Szene zu sein.
Das gilt ebenso für eine weitere Besonderheit der Sportart: die fantasievollen Spielernamen. Wer sich nicht schnell genug selbst einen Derby-Namen gibt, wird von den Teamkolleginnen mit einem Spitznamen bedacht. Innovativ sind diese Namen allemal. Wenn eine Alliteration die nächste jagt, erreicht die Kreativität aber manchmal die Schmerzgrenze. Für den Start in ein ungezwungenes Gespräch eignen sie sich dennoch bestens: Hört Val Kyrie beim Joggen Wagner-Opern? Haben die Angreifer Angst vor der Drohhaltung von Kobra Killjoy? Seit wann hat Becci Messer ihr Haifisch-Tattoo? Und wer ist eigentlich jemals an Ann’Blockable vorbeigekommen?
Obwohl Roller Derby primär als Frauensport verstanden wird, sieht man auf dem Spielfeld sowohl Frauen als auch Männer. Meistens kämpfen die Frauen als Spielerinnen für ihre Teams, während die Männer am inneren Rand der Fahrbahn langsam ihre Runden drehen und als Schiedsrichter über das Einhalten der zahlreichen Regeln wachen. Mit Trillerpfeife im Mund, mal einbeinig, mal kreuzbeinig dahingleitend und von unentwegten Handzeichen begleitet, muten sie dabei an wie Stewardessen beim Erläutern der Sicherheitsregeln. Diese Konstellation mag dazu beigetragen haben, dass Roller Derby einen verrucht feministischen Ruf genießt. Manchmal haben die Spielerinnen mit dem Image der kriegerischen Frau aber auch zu kämpfen. „Wir werden oft nur als heiße Frauen in Netzstrumpfhosen gesehen“, beschwert sich die Spielerin Zornröschen. Andere wiederum wollen unbedingt ein emanzipatorisches Potential in dem Frauensport sehen, mit dem sich die Spielerinnen gegen das Patriarchat zu Wehr setzten. Dabei gehe es doch vor allem darum, „dass wir da einen geilen Sport machen!“
*Namen von der Redaktion geändert
Von Hannah Bley und Theresa Leisgang