Die Kampagne „MapMyDay“ soll Informationen über Barrierefreiheit sichtbar machen.
[dropcap]W[/dropcap]er vom Neuenheimer Feld aus den Neckar überqueren möchte, kann westlich der Ernst-Walz-Brücke über den Wehrsteg laufen – und braucht für 400 Meter etwa 4 Minuten. Rollstuhlfahrer müssen aufgrund der Treppenstufen mehr als einen Kilometer Umweg in Kauf nehmen und benötigen für die gleiche Strecke knapp eine halbe Stunde. Dies ist nur ein Beispiel für Barrieren im Alltag mobilitätseingeschränkter Menschen.
Um das Bewusstsein für solche Missstände zu schärfen und den Alltag barrierefreier zu gestalten, hat der Berliner Verein Sozialhelden e.V. in Kooperation mit der Weltgesundheitsorganisation zur Mithilfe aufgerufen. Anlässlich des Internationalen Tages der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember sollen mit der Kampagne „MapMyDay“ mehr Informationen über die Barrierefreiheit öffentlicher Orte gesammelt werden.
Der Kampagne liegt das vom Verein ins Leben gerufene Projekt Wheelmap.org zugrunde, das auf einer frei zugänglichen Karte die rollstuhlgerechte Erreichbarkeit relevanter Orte festhält. Mitwirken kann dabei jeder, entweder direkt über die Homepage oder per Smartphone-App. Eine Registrierung ist ebenso wenig notwendig wie geographisches Fachwissen. Auf der Karte sind noch nicht kategorisierte Orte in grauer Farbe gekennzeichnet. Die Nutzer bewerten diese anhand einfacher Kriterien als voll, teilweise oder nicht rollstuhlgerecht – auf der Wheelmap schließlich durch die Farben grün, gelb und rot dargestellt.
Weiterhin können Informationen über die Zugänglichkeit öffentlicher Toiletten eingetragen und abgerufen werden sowie mittels Fotos oder Kommentaren weitere Angaben zu den Orten gemacht werden. Zugrunde liegen dabei die Daten von OpenStreetMap, einer Karte, zu der jeder Informationen nach dem Prinzip von Wikipedia beitragen kann.
Bisher sind auf der Wheelmap weltweit mehr als 650 000 Orte markiert. „Im Rhein-Neckar-Kreis gibt es etwa 18 000 Orte, die bewertet werden können. Davon sind 10 000 bewertet“, erläutert Stefan Hahmann, Wissenschaftler am Geographischen Institut Heidelberg. „Diese verteilen sich zu jeweils einem Drittel auf voll, eingeschränkt oder gar nicht zugänglich.“ Neben der Information für die Betroffenen, welche Orte zugänglich sind und welche nicht, sieht Hahmann in der Wheelmap auch eine politische Dimension: „Wenn ein Punkt rot ist, besteht die Hoffnung, dass dies Lokalpolitiker aktiviert oder die Betreiber dazu veranlasst, diesen Ort barrierefrei zugänglich zu machen“.
Der Geoinformatiker arbeitet im Rahmen des Forschungsprojekts CAP4Access, dessen Ziel es ist, Methoden und Werkzeuge zur Sammlung und Benutzung räumlicher Informationen zur Verfügung zu stellen. „Die Wheelmap schafft die Bewertung der Ziele; wir versuchen zwischen den Orten eine möglichst barrierefreie Route zu finden“, beschreibt Hahmann seine Arbeit. Überdies zeigen Erreichbarkeitszonen, welche Gebiete in einer bestimmten Zeit erreichbar sind.
Eine Beta-Version des Routenplaners OpenRouteService.org ermöglicht bereits eine rollstuhlgerechte Navigation. Doch diese könne immer nur so gut funktionieren, wie es die zugrundeliegenden Kartendaten bei OpenStreetMap erlauben. Für Rollstuhlfahrer relevante Informationen über Steigung und Gefälle gebe es noch an manchen Stellen, Daten über Gehwege hingegen seien eine Seltenheit. „Gerade bei den Gehwegen haben wir das Problem, dass es keinen flächendeckenden Datensatz gibt“, sagt Hahmann.
Aufgrund dieser Schwierigkeiten stehe auch noch nicht fest, wann der Routenplaner als standardmäßige Version bei openrouteservice.org angeboten werden soll. Allerdings gibt es auch kritische Stimmen. „Was die Nutzer vielleicht erwarten würden – dass jede Bordsteinkante schon mit beachtet wird –, können wir leider noch nicht liefern“, erläutert Hahmann den Stand des Projekts. Lediglich könne die auf Grundlage der Daten bestmögliche barrierefreie Route ermittelt werden, nicht die der Realität entsprechende.
Der Aufruf zum kollektiven Mappen am 3. Dezember erwies sich derweil als erfolgreich. „Die Aktivität war circa 20 Mal höher als sonst. Pro Tag sind 300 neue Markierungen üblich – am 3. Dezember waren es etwa 6000“, erläutert Jonas Deister, Geschäftsführer von Sozialhelden e.V. Insgesamt wurden im Rahmen der Kampagne bereits mehr als 15 000 Orte neu markiert.
Der Verein hofft mit dem Projekt auch das Bewusstsein der nicht Betroffenen zu schärfen. „Ein Ziel ist es, dass etablierte Kartenanbieter solche Informationen zur Barrierefreiheit anzeigen und das Thema so in den Mainstream kommt“, beschreibt Deister die Ziele des Projekts. Verbesserungsbedarf sieht er vor allem bei der Datenintegration. Die direkt vor Ort gesammelten Informationen werden durch Datenspenden ergänzt, beispielsweise von der Deutschen Bahn über die Barrierefreiheit deutscher Bahnhöfe.
Für den Heidelberger Wehrsteg wird es derweil wohl keine rollstuhlgerechte Lösung geben. Die Stadt verfolgt den Plan eines barrierefreien Ausbaus zur Fuß- und Radverbindung aufgrund der hohen Kosten von circa 6,5 Millionen Euro nicht weiter. Stattdessen soll für einen ähnlichen Betrag eine neue, barrierefreie Rad- und Fußgängerbrücke gebaut werden. Für diese ist im Jahr 2016 ein Architektenwettbewerb vorgesehen, der Baubeginn wird allerdings frühestens 2018 erwartet, teilte die Stadt Heidelberg dem ruprecht mit.
Von Jesper Klein
[box type=“info“ ]Wer dabei helfen will, die grauen Punkte auf der Wheelmap zu reduzieren, kann dies über wheelmap.org oder per App auf dem Smartphone.[/box]