Mit dem sozialen Unternehmen „knastbewusst“ unterstützen Heidelberger Studentinnen Frauen in der Untersuchungshaft.
[dropcap]J[/dropcap]emand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Mit diesen weltberühmten Worten beginnt die juristische Odyssee des Prokuristen K. aus Franz Kafkas „Der Prozess“. Ob der Protagonist nun schuldig ist oder nicht, wird immer unersichtlicher. Und doch weiß der Leser, dass er am Ende der Lektüre einen anderen Charakter vorfindet, als er ihn zu Anfang kennengelernt hat: Verzweifelt, zermürbt, gebrochen.
Eine Gefühlslage, die 2013 dem Bundesjustizamt zufolge den Alltag von über 25 000 Menschen in Deutschland dominierte: Die Untersuchungshaft – die Festnahme eines Verdächtigen bei „dringendem Tatverdacht“ und bestehender Flucht- oder Verdunkelungsgefahr.
In der Statistik handelt es sich nur bei etwa einem Prozent um Frauen – eine verschwindend kleine Zahl. „Ich glaube, unsere Gesellschaft denkt nicht darüber nach, weil es keine Berührungspunkte zwischen ‚Innen‘ und ‚Außen‘ gibt“, sagt Stephanie Hörnig (23), Jura- und Soziologiestudentin an der Uni Heidelberg. Zusammen mit der Soziologiestudentin Julia Hildmann (26) ist sie Gründerin der Initiative „knastbewusst“. „Wir wollen Frauen in der Untersuchungshaft Beschäftigung geben, damit sie ihre Zeit im Gefängnis aktiv angehen können“, erklärt Julia. „Durch kreative Arbeit versuchen wir, ihnen bei der Verarbeitung ihrer Geschichte und bei der Wahrnehmung ihrer Chancen zu helfen.“
Die Frauen sollen ihre Situation reflektieren, wortwörtlich ein „Knastbewusstsein“ entwickeln. Geplant ist die Produktion eines Gesellschafts-Brettspiels, welches den Alltag im Gefängnis spielerisch und doch authentisch vermitteln soll – vor allem den Personen „draußen“, die das Spiel kaufen. Die Mischung aus „Spiel des Lebens“ und „Monopoly“ soll dabei jedoch nicht das einzige Projekt des Start-Up-Unternehmens bleiben: Die Studentinnen können sich auch vorstellen, den Frauen Briefwechsel nach außen zu vermitteln, um Brücken in die Gesellschaft zu bauen.
An Engagement scheint es den beiden nicht zu fehlen: Seit mehr als drei Jahren arbeiten die Gründerinnen in verschiedenen Bereichen von Gefängnissen, im Januar letzten Jahres schmiedeten sie dann Pläne für das Unternehmen. „Ich habe einfach gemerkt, dass mir die Arbeit zu wenig war“, erzählt Julia weiter. „Ich habe mich mit den Inhaftierten gut verstanden. So hatte ich eine Stunde Ablenkung pro Woche. Aber ich wollte nicht nur eine einfache Beschäftigung, sondern auch aktiv etwas unternehmen.“
Kurze Zeit später förderte SAP das Start-Up mit einem Stipendium. „Das Idealziel der Initiative wäre eine Art Think-Tank, bei dem gesellschaftliche und gefängnisbezogene Strukturen immer wieder überdacht und diskutiert werden“, erzählen die beiden entschlossen. Dafür fehlen ihnen aber bislang noch Mitstreiter. Darüber hinaus machen sich die beiden aber auch über das Konzept der Untersuchungshaft ihre Gedanken. Für sie wirkt es paradox: Gerade die Menschen, bei denen die Unschuldsvermutung vorherrschen sollte, fühlen sich wie bereits verurteilte Gefängnisinsassen. „In der U-Haft ist man primär weggesperrt, weil man ja nicht zu mehr gezwungen werden kann. Man kann nicht arbeiten, sitzt im Zimmer, überlegt, wann der Prozess stattfinden wird und wie es den Kindern draußen geht“, meint Stephanie.
Und genau diese Ausweglosigkeit spiegelt sich auch im hamsterradartigen Tagesablauf: „Um sechs Uhr morgens wird erst einmal gecheckt, ob noch alle leben.“ Danach sei um elf Uhr Hofgang, Zeit zum Duschen und anschließendes Mittagessen, bevor man eingesperrt wird. Dann folgt das Abendessen. Dann wieder der Einschluss. Nach dreistündiger Freizeit werden die Häftlinge endgültig für die Nacht eingeschlossen.
Neben möglichen weiteren Ansprüchen erhalten Freigesprochene in der Bundesrepublik derzeit 25 Euro pro eingesessenen Tag in der U-Haft. Der festgelegte Wert der Freiheit?
„Das ist die niedrigste Entschädigungssumme in Europa!“, fällt Stephanie sofort ein. „Das gesellschaftliche Stigma und der Freiheitsentzug – das ist alles nicht mit Geld aufzuwiegen.“
Doch was, wenn es sich bei dem Gegenüber des Teams nicht um einen Josef K. handelt? Was, wenn es sich um jemanden handelt, der schuldig ist? Schließlich werden etwa 80 Prozent aller U-Häftlinge in Deutschland verurteilt.
„Wir sind nicht die Instanz, die über Schuld und Unschuld entscheidet“, meinen die Gründerinnen abschließend. „Es geht darum, den Frauen zu zeigen, was sie können und dass sie etwas wert sind. Es geht darum, dass wir Menschen sind, die zu anderen Menschen kommen.“
Von Sonali Beher