Marc-Philippe Weller ist Direktor am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg. Er schreibt in der Reihe „Ungelöste Fragen der Wissenschaft“ über International Compliance und Menschenrechtsverantwortung deutscher Unternehmen.
Die Debatten um Volkswagen (Abgasmanipulationen), Deutsche Bank (angeblicher Verstoß gegen die Iran- und Russland-Embargos) und zuvor Siemens (Schmiergeldzahlungen) betreffen in juristischer Hinsicht unter anderem den Bereich der internationalen „Compliance“ (Rechtstreue).
Für den grenzüberschreitenden Kontext ist hier jedoch noch vieles unerforscht, wie die kontroverse Siemens/Neubürger-Entscheidung des Landgerichts München erhellt (Urt. v. 10.12.2013, Az. 5 HK O 1387/10). Der frühere Siemens-Vorstand Neubürger hätte, so das Landgericht, durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen Schmiergeldzahlungen verhindern müssen. Das entscheidende Problem der Internationalität wird freilich übersehen. Die Bestechungsgelder flossen nämlich weder in Deutschland noch über die Siemens AG, sondern vielmehr in Nigeria, über eine ausländische Tochtergesellschaft.
Ob sich die Legalitätspflicht des Vorstands über seine Gesellschaft und damit über das Subjekt hinaus (transsubjektiv) auch darauf erstreckt, die Rechtstreue in Tochtergesellschaften sicherzustellen, ist bislang nur in vagen Umrissen erforscht. Entsprechendes gilt für die noch schwierigere Frage, welcher Pflichtenstandard bei Auslandsaktivitäten zu beachten ist. Gilt, wie bei Verkehrsregeln, der ausländische Pflichtenstandard?
Oder wirkt der inländische extraterritorial, wie es das Landgericht München für die Schmiergeldzahlungen in Nigeria implizit annimmt? Oder gelten die in- und ausländischen Pflichten nebeneinander – entweder alternativ zugunsten des Geschädigten, der die ihm günstige Haftungsnorm auswählen darf oder kumulativ zugunsten des Schädigers, der nur haftet, wenn er beide Pflichtenstandards verletzt?
Diese Fragen stellen sich auch im hochaktuellen Forschungsfeld der Umwelt- und Menschenrechtsverantwortung deutscher Unternehmen bei ihren Auslandsaktivitäten. So beschäftigt sich derzeit das Landgericht Dortmund in einem Pilotverfahren gegen den Textildiscounter Kik mit einer Brandkatastrophe in einem Kik-Zulieferbetrieb in Pakistan. Die dortigen Arbeitsbedingungen seien, so Menschenrechtsaktivisten, unmenschlich gewesen. Gegen den Stromkonzern RWE wird laut Medienberichten gerade eine Schadensersatzklage wegen Mitverursachung des Klimawandels vorbereitet.
In Heidelberg sind wir, im Dialog mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesjustizministerium, in einem von der DFG geförderten Projekt dabei, internationale Standards und Haftungsmodelle rechtsvergleichend auszuleuchten. Ein Wirtschaften auf Kosten Dritter, so viel steht schon fest, duldet die deutsche Rechtsordnung nicht.