„Die Ratten“ von Gerhart Hauptmann hatten am Sonntag am Heidelberger Stadttheater Premiere. Ein Theaterstück, das nicht das Schöne, sondern das Hässliche zeigen will.
„Sie sind eine Ratte, Spitta“, schreit der ehemalige Theaterdirektor Hassenreuter seinen Schauspielschüler an, „Ratten fressen den Idealismus!“ Während die Boheme oben auf dem Dachboden eine Theaterszene probt und darüber streitet, wie viel Realität das Theater vertragen kann, spielt sich unter ihnen in einer Berliner Mietskaserne gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Dramatik des Proletariats ab. Die ungewollt schwangere Pauline (Lisa Förster) verkauft aus Verzweiflung ihren Säugling an Frau John (Katharina Quast). Diese wünscht sich nichts sehnlicher als ein Kind, um ihren Mann davon abzuhalten, sie zu verlassen. Kurz nach der Übergabe bewegen die Muttergefühle Pauline aber doch zur Einsicht und sie fordert ihr Kind zurück. Die gefühlskalte Frau John weigert sich und entführt den verwahrlosten, ausgehungerten Säugling der Morphium abhängigen Nachbarin und versucht diesen Pauline unterzuschieben. Als die Lüge auffliegt, führt ihre Verzweiflung letztlich zum Mord.
Der egomane Theaterdirektor Hassenreuter, klasse gespielt von Hans Fleischmann, findet dabei Lustgewinn an der Dramatik, die er beobachtet. Nur um gleichzeitig seinem jungen Schüler Erich Spitta (Florian Mania) zu belehren, dass die grausame Lebenswirklichkeit der einfachen Leute keinen Platz im Theater habe. Spitta hält dagegen: „Vor Kunst und Gesetz sind alle Menschen gleich“.
Gerhard Hauptmanns Tragikomödie aus dem Jahr 1911 gilt als eines der bedeutendsten Werke des Naturalismus, eine Strömung, die das reale, ungeschönte Leben auf der Bühne darstellen wollte. Das bedeutet in diesem Stück vor allem die Hässlichkeit des Miteinanders zu zeigen. Denn in „Die Ratten“ ist das wahre Ungeziefer menschlicher Natur. Mitgefühl findet keinen Platz in dieser Welt, die von Elend und Verwahrlosung der Arbeiterschicht in der wilhelminischen Ära geprägt ist.
Die Inszenierung von Intendant Holger Schultze überzeugt dabei mit Ideenreichtum, gelungenen Dialogen sowie einer bedrückende Atmosphäre auf der Bühne, die das Publikum über weite Strecken zu fesseln vermag. Leider fehlt es oft ein wenig an Tiefe der Charaktere und gerade der letzte Akt mit dem eigentlich so dramatische Ende kommt statisch und blass gespielt daher.
Wie in der Originalfassung sprechen die Bewohner der Mietskaserne mit Berliner Dialekt. Das kann teilweise aufgesetzt und unecht auf einer süddeutschen Bühne wirken, gerade weil es oft eine ungewollten Komik birgt, gehört aber trotzdem als unverzichtbares Stilmittel des Naturalismus zum Stück dazu.
Der heimliche Star der Inszenierung jedoch ist das Bühnenbild von Martin Fischer. Zwischen zwei blauen Baugerüsten, die als Treppenhaus fungieren, rotiert eine Wand aus Gitter und Glas um die eigene Achse. Diese dient nicht nur als gewaltiges Dach oder als Trennwand der Mietskaserne, sondern schiebt sich in manchen Szene wie eine unüberwindbare Barriere zwischen die Schauspieler und verleiht der Handlung auf der Bühne eine beeindruckende Enge. Die drehende Wand kommt den Köpfen der Akteure dabei zeitweise so nah, dass es scheint, als würde sie das Geschehen auf der Bühne begraben wollen.
ruprecht Fazit: „Die Ratten“ im Stadttheater Heidelberg bieten trotz kleinerer Schwächen zweieinhalb Stunden packendes Schauspiel. Schon wegen der großartigen Kulisse sehenswert.
Karten und Termine auf http://www.theaterheidelberg.de/
von Frederik Seeler