Auf (nur) ein Wort: Judith Holofernes las im DAI aus ihrem neuen Tiergedichte-Band. Passend dazu sprach sie mit uns über Spaß und Ernst.
Die Hotellobby, in der ich die ehemalige Frontfrau der Band „Wir Sind Helden“, inzwischen Solokünstlerin, Bloggerin und Autorin, treffe, ist zugig und sie etwas erkältet. Trotzdem ist sie eine geistreiche, zugängliche und witzige Gesprächspartnerin.
Kann und darf man über alles Witze machen?
Ich finde nicht, dass man muss, ganz ehrlich. Da bin ich aber auch sehr speziell, denke ich. Ich mag keinen verletzenden Humor, auch wenn ich selber manchmal als Performerin und jemand der schreibt, meine Großmutter für einen Witz verkaufen würde. Manchmal sagt man Sachen, weil sie witzig sind, weil sie witziger sind, wenn man gemein ist. Passiert mir auch. Aber Humor, der darauf ausgerichtet ist zu verletzen und zerstören und darauf jemand anderen zu demontieren, ist nicht so mein Ding.
Und wie können wir angesichts was gerade um uns herum alles passiert unseren Humor behalten?
Ist schwierig. Ich habe zum Beispiel auch einen Moment gehabt, wo ich es schwierig fand mit diesem hauptsächlich lustigen Buch unterwegs zu sein. Weil mir das unglaublich Spaß macht, die Lesungen sind total lustig, das ist toll. Trotzdem gibt es Situationen, wo mir dann ganz andere Themen durch den Kopf gehen. Und da hatte ich schon Momente, wo ich dachte „Mit meiner Musik wäre das jetzt leichter“, weil ich da natürlich ein Programm auch abändern kann, so dass es zu meiner Gefühlslage passt oder zur Gefühlslage des Publikums.
Und da ist mir eingefallen, dass ein buddhistischer Lehrer, den ich kenne, immer eine niedliche Geschichte dazu erzählt: Der sagt, dass man in schwierigen Zeiten, also in „Herzenkrisen“, die Freude in sich nähren muss.
Es gibt verschiedene Ebenen von Freude, es gibt die Ebene, die ganz schnell funktioniert, das wäre körperliche Freude. Dann gibt es geistige, emotionale Ebenen von Freude, die schwieriger zu befriedigen sind. Und der hat eben gesagt, dass es ganz oft so ist, dass es man in schwierigen Situationen sich erst über die körperliche Ebene und die leicht erreichbare Freude sich soweit wieder ausbalancieren muss, dass man überhaupt wieder in der Lage ist zu meditieren und so weiter. Aus einer negativen Gemütslage heraus zu denken oder zu handeln ist sowieso keine gute Idee. Und er hat gesagt, was er – ein ganz ehrwürdiger buddhistischer Lehrer – immer macht, und das ist der niedliche Teil der Geschichte, er holt sich in solchen Situationen immer einen Vanillepudding aus dem Kühlschrank und dann geht’s ihm schon wieder besser. (lacht) Und man muss sich ungefähr Yoda vorstellen, der sich einen Vanillepudding aus dem Kühlschrank holt.
Und ein bisschen hatte ich das Gefühl, dass ich mit meinen Tiergedichten eher auf der Vanillepudding-Ebene bin und das auch okay ist. Und auf der anderen Seite schwingen bei dem Buch schon auch Sachen mit, die mir wichtig sind. Sachen, die mir ernst sind, nicht im ernsten Sinne, aber die mir wichtig sind. Also zum Beispiel das Nichtstun, das im Moment-Sein und das Nichts-Wollen – das sind Sachen, die sehr wohl auch im Zusammenhang mit der großen Welt und ihren Schwierigkeiten stehen und manchmal denke ich mir, vielleicht ist „Das Faultier“ genau das richtige Gedicht zu dieser Zeit. Oder „Der Lemur“.
Gibt es etwas, wo Sie gar keinen Spaß verstehen?
Ja schon. Ich bin auch empfindlich mit manchen Sachen. Ich war zum Beispiel immer so ein Kind, das sich ärgern lässt in der Schule und zwar nicht, weil die Witze so sitzen, sondern weil mir das Wissen darum, dass jemand dich ärgern WILL so fremd war. Die Tatsache, dass dich wer verletzen WILL, trifft mich schon. Ich war nie besonders dickfellig, was wenn man mit Presse zu tun hat und irgendwas in der Öffentlichkeit macht, nicht so wahnsinnig praktisch ist. Aber wenn das anders wäre, könnte ich wahrscheinlich die Songs, die ich schreibe, nicht schreiben. Das ist bei den allermeisten Künstlern der Fall denke ich, dass man emotional und offen sein muss, um das zu machen, was man macht und auf der anderen Seite einen Regenmantel braucht um es dann draußen in der Welt spazieren zu tragen.
Und wie kommt man zu so einem Regenmantel?
Die meisten Leute nehmen Drogen. (lacht)Also ich weiß nicht, ich hab auch schon manchmal Leute kennengelernt, die das ganz gut können mit diesem Pop-Business und das sind dann eher die Leute…schwer das jetzt so zu formulieren dass es nicht fies klingt…aber das sind schon eher die Leute, bei denen es etwas schlichter gestrickt ist. Die so eine Eindeutigkeit haben, die einfach denken: „Popstar-Sein: geil. Viel Geld verdienen: geil. Hübsche, junge Freundin haben: geil.“ Wenn du also völlig eins sein kannst mit den Sachen, die der Mehrwert an diesem Ruhm sind und einfach denkst: „Viel Bekanntheit: geiler als keine Bekanntheit.“
Je schlichter man funktioniert, desto besser kommt man da durch. Und die Leute, die zum Hadern, zum Nachdenken und Zweifeln veranlagt sind, die kommen ein bisschen schlechter durch. Und von denen fangen dann eben viele an Drogen zu nehmen. Ich hab dann stattdessen mit meiner Band aufgehört, als ich gedacht habe, andere Leute würden jetzt anfangen Drogen zu nehmen.
Ist das rückblickend noch immer schwer, bereuen Sie das trotzdem noch manchmal?
Ich bereue es gar nicht, weil es so gut aufgegangen ist für mich. Weil es mir wirklich gut geht, mit dem was ich jetzt mache und die Sachen, die ich mir davon versprochen habe, von dieser einschneidenden Lebensveränderung, die sind einfach passiert. Und die fühlen sich auch so an, wie ich es mir gewünscht hab. Ich fühl mich freier. Ich bin künstlerisch total im Schlaraffenland. Ich hab mit inspirierenden Leuten zu tun. Das was ich immer als Teenager gemeint habe mit „Popstar-Werden“, da bin ich jetzt näher dran. (lacht) Ich mache mit tollen Leuten zusammen tolle Sachen. Ich hab mein Publikum gefunden und die Leute hören es aus den richtigen Gründen und so… Also es fühlt sich sehr richtig an, aber es ist noch ein bisschen schwer, weil es damals so schwer war. Ich habe diese Band wahnsinnig geliebt und ich habe wirklich fünf Jahre gebraucht um mich davon zu lösen. Und das ist jetzt mehr wie so eine körperliche Erinnerung. Man erinnert sich daran, aber es war nicht falsch. Nicht alles, was schwierig ist, ist falsch.
Phantomschmerzen quasi.
Genau, Wachstumsschmerzen.
Wie ist das denn eigentlich mit Sexismus im Musikbusiness?
Der ist da. (lacht) Ich hab das in so vielen Situationen erlebt. Für mich ist dieser Beruf ein anderer als für männliche Kollegen. Das ist einfach so. Punkt.
Und das ist für Frauen schon echt hart, weil du beinahe das Gefühl hast, wenn ich im Pop bin, habe ich so eine Verpflichtung immer gut auszusehen. Das ist wahnsinnig nervig. Ich bin einfach nicht so gestrickt, ich hab gar keinen Bock immer irgendwie auszusehen.
Und das ist ehrlich gesagt eine der massivsten Ermüdungserscheinungen, die ich so habe mit dem Pop, dass ich dann unglaublich aggressiv werde im Fernsehen und bei Fotosessions. Es macht mich einfach nur noch mürbe und zwar gar nicht weil ich dann Komplexe hab, sondern weil ich denke: Ich habe keinen Bock. Ich bin jemand mit Kopf und Herz und ich schreibe diese Songs – warum muss ich dauernd irgendwie aussehen? Es nervt mich so doll. Es nervt mich nicht gut oder schlecht auszusehen, sondern überhaupt irgendwie auszusehen. Weil es ist nicht mein Beruf irgendwie auszusehen. Die Stimme zählt noch.
Ich mache auch gern mal schöne Fotos, auf denen man dann gut aussieht und mir ist auch nicht scheißegal was ich anziehe, aber an manchen Tagen aber auch doch schon. Und zwar an ganz schön vielen. Ich bin auch schon so geprägt, ich bin eine Kandidatin für sowas (zeigt auf ihren kuschlig aussehenden, riesigen rot-blauen Umhang). Es ist mir manchmal auch wochenlang scheißegal wie ich aussehe. Aber du möchtest dann trotzdem nicht, dass das für alle Ewigkeit im Internet festgehalten wird. (lacht) Also für Frauen ist es schon so nervig, das ganze Ding.
Apropos Altwerden – ist das was wovor Sie Angst haben, alt, ernst und spießig zu werden?
Nee, überhaupt nicht. Aber ich hab auch solche Rollenvorbilder nicht. Ich werde immer radikaler, je älter ich werde und eigensinniger und genauer mit dem, was ich machen will und was nicht. Und konsequenter und hoffe, dass ich mit 60, 70 total badass sein werde.
Also ganz positiv im Sinne von Wachsen, nicht Altern.
Naja Altern auch, natürlich. Ich finde das auch attraktiv zu sehen, bei Frauen die zehn, zwanzig Jahre älter sind als ich, dass man irgendwann auch anfängt auf manche Sachen zu scheißen und sich unabhängiger zu machen. Ich hab manchmal eher schon fast so ein Gefühl, dass ich gerne diese nervige Jugend, oder diese nervige Zwischenzeit gerne überspringen würde. Ich freu mich da schon drauf, wenn man noch doller drauf scheißen kann.
Das sind dann ja gute Aussichten. (lachen beide)
Zu Ihrem Gedichteband: In dem machen Sie sich über Tiere lustig, aber es geht ja auch um Menschen. Für jemanden, der Ihre Gedichte nicht kennt, worüber machen Sie sich da genau lustig?
Also wenn ich zum Beispiel über den Marabu sage „Wozu braucht man den Marabu / Er ist nicht schön wie ich und du“, dann ist der eigentliche Witz daran, dass wir Menschen wirklich so ticken. Dass wir die gesamte Tierwelt eigentlich auf uns beziehen und dann im Zoo fassungslos vor dem Marabu stehen und denken: „Warum gibt es dich, wenn ich dich doch so hässlich finde?“
Also das Lustige finde ich, wie wir Menschen in Bezug auf Tiere ticken. Und Tiere eigentlich nur verstehen, wenn sie uns gefallen. (lacht) Das finde ich sehr lustig. Ich finde Tiere haben manchmal eine Art komisch zu sein, die eigentlich die allerbesten Komiker auch haben. Also zum Beispiel Buster Keaton oder so. Am lustigsten finde ich die Komiker, denen man nicht anmerkt, dass sie sich selber lustig finden. So eine Verbindung aus großer Ernsthaftigkeit und bekloppten Verhalten finde ich immer am Lustigsten. Hunde zum Beispiel par excellence oder auch der Lemur in dem Lemuren-Gedicht. Der ist ja deshalb komisch, weil er mit großer Anmut und Grazie für uns schwer nachvollziehbare, bekloppte Dinge tut. Also der Kontrast ist es glaub ich, von Komik und Ernst.
Und wenn Sie ein Tier wären, was wären Sie für eines?
Ich glaube, jeden Tag ein anderes.
Heute?
Heute wäre ich … tatsächlich eher was, was irgendwie in einer Höhle lebt.
Nicht so der ideale Tag für eine Lesung also. (lachen beide)
Doch, das Gute an Lesungen ist, dass sie so intim und nah sind. Ich hab das manchmal bei Konzerten, obwohl ich es liebe Konzerte zu spielen, aber da habe ich manchmal eine größere Hemmschwelle, an Tagen, wo ich so introvertiert bin. Weil man da ja schon echt ordentlich senden muss. Und bei diesen Lesungen habe ich das Gefühl, dass es so ein bisschen ist wie im Wohnzimmer bei Freunden zu sitzen. Da trägt der Humor mich dann auch durch. Und es darf jedes Mal anders sein und man kommt auch durch, wenn man einen schüchternen Tag hat.
Die Gedichte sollen also nicht „nur“ lustig sein, sondern es schwingt auch eine gewisse Gesellschaftskritik oder „Menschenkritik“ mit?
Ich glaube es ist drin, es gibt bei den Gedichten nicht wirklich etwas was sie sein sollen. Es gab auch keinen Plan. Ich hab mich auch nicht hingesetzt. Es gab einen Moment, wo ich gedacht habe, ich hätte gerne eine größere Vielfalt, dass sie unterschiedlicher sind, wenn man schon ein Buch draus macht und dann habe ich noch ein paar ernstere geschrieben.
Sie haben ja auch in Interview immer wieder betont, dass die Veröffentlichung des Buches auf eine angenehme Weise viel entspannter war als die Platten zu produzieren. Wenn Sie sich jetzt entscheiden müssten zu singen oder zu schreiben – was würden Sie da wählen?
Singen. Und ich bin schon wieder mit Unterarmen tief in der nächsten Solo-Platte. Ich kann mir gut vorstellen, dass es für mich schön sein wird das beides zu haben. Jetzt gerade, und das ist ja auch super, fühle ich mich wieder wahnsinnig stark zur Musik hingezogen und mir macht das ganz großen Spaß. Und ich hab ja auch die Ukulele dabei. Und ich glaube, das ist ein Konzept, dass ich auch in Zukunft ausbauen werde, dass man Abende macht, die halb Musik und halb Texte sind, vielleicht dann auch Blog-Texte. Es macht mir total Spaß, weil ich auch näher an die Leute rankomme, mit dem Signieren und so. Das ist alles einfach extrem nett und kuschlig. Aber ich krieg auch schon die ganze Zeit so zwanghafte Ohrwürmer, weil mir die Musik so fehlt.
Wie lässt sich das mit Familie vereinbaren?
Sehr viel besser als früher. Also Pola ist jetzt Produzent (Anm. ehemaliger Schlagzeuger von Wir sind Helden und Judith Holofernes Ehemann), das heißt der hat zwar einen intensiven Beruf, weil wenn der eine Band produziert, dann ist das für die Zeit, in der sie die Platte aufnehmen sehr intensiv und er kommt auch spät nachhause und so, aber das können wir viel besser einrichten, dann gehe ich parallel natürlich nicht mein Buch durch die Gegend tragen. Sondern er verabredet sich mit der Band zwei Monate vorher, wo ich dann zum Beispiel Songs schreibe, was viel häuslicher funktioniert. Das heißt es ist extrem viel einfacher. Es ist immer noch nicht einfach, so wie das glaube ich für niemanden einfach ist zu arbeiten und Kinder zu haben und weil kreative Berufe eigentlich anders funktionieren. Dieser Kreativität müsste man eigentlich immer so hinterher laufen wie so ein Hündchen, wenn sie kommt und das geht natürlich nicht mit Kindern. Wenn ich meine Kinder von der Schule abholen muss, kann ich nicht stattdessen einen Song schreiben. Man kann aber ganz gut heimlich im Kopf Songs schreiben, auch während man UNO spielt. (lacht)
Abschließende Frage: Was ist der Unterschied zwischen Spaß und Freude?
Dann kriegst du jetzt quasi einen Vorabdruck, ich schreibe gerade einen Song und in dem kommt vor: Spaß, du bist der Hund der Freude / schnupperst nur am eigenen Po / Freude führt dich an der Leine, füttert dich mit Haferstroh. Also Freude ist der Boss und Spaß ist die ärmliche Verwandtschaft der Freude. Ich beschäftige mich, wie du siehst, grade sehr mit Freude für mein neues Album.
Das Gespräch führte Dorina Marlen Heller