Vier Mitglieder des RCDS Heidelberg klagen gegen die Verfasste Studierendenschaft. Sie fechten die Satzung der VS grundsätzlich an.
[dropcap]E[/dropcap]in Streitwert von 120 Euro klingt nach wenig für einen Gerichtsprozess. Steht oder fällt mit der Entscheidung der Richter aber eine ganze Organisation, dann können 120 Euro plötzlich eine enorme Symbolwirkung entfalten. Denn genau diese Summe fordern nun vier Mitglieder des RCDS Heidelberg (Ring Christlich-Demokratischer Studenten) vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe von der Verfassten Studierendenschaft (VS) zurück. Ihr Vorwurf: Die Form der VS mit StuRa und ausführender Referatekonferenz (Refkonf) verstoße gegen „grundlegende demokratische Prinzipien“, ihre Satzung sei somit nichtig und die Beiträge von 7,50 Euro pro Semesterhätten nie eingezogen werden dürfen. In einer Pressemitteilung bezeichnen sie das Heidelberg StuRa-Modell als ein „Rätemodell, dessen Konzeption sich eher am Kommunismus als am Grundgesetz“ orientiere. Sollte das Gericht ihrer Argumentation folgen, droht der VS schlimmstenfalls ein Debakel mit ungewissem Ausgang, denn dann könnten auch alle anderen Studierenden der Universität ihre Beiträge nach Belieben zurückfordern.
Die vier Jura-Studierenden stoßen sich vor allem an der ihrer Meinung nach unzureichenden demokratischen Legitimation mancher StuRa-Abgeordneter. Denn ein Großteil der StuRa-Mitglieder stammt aus den Fachschaften, von denen sie teilweise nur entsandt und nicht direkt gewählt werden – was nach Auffassung der Kläger gegen den Wahlgrundsatz der Unmittelbarkeit verstoße. Darüber hinaus wählen alle Studierenden zwar unmittelbar die hochschulpolitischen Listen, die den anderen Teil der Abgeordneten stellen. Deren Sitzanzahl hängt aber von der Wahlbeteiligung ab, die 50 Prozent für eine 50/50-Aufteilung der Plätze erreichen müsste. Da dies in der politischen Realität nicht erreichbar sei, würden die Listenvertreter benachteiligt. „Eine demokratische Willensbildung wird so verhindert“, folgert Dominik Koblitz, Mitkläger und RCDS-Landesvorsitzender. Dafür spreche auch, dass eine Gruppe im StuRa nicht einmal theoretisch die absolute Mehrheit erreichen könne.
Die Refkonf reagiert in einer eigenen Pressemitteilung mit „Verwunderung“ auf die Klage. Man sehe keinerlei demokratischen Defizite, da auch die Fachschaftsvertreter im StuRa von den Fachschaften direkt gewählt oder von direkt gewählten Fachschaftsräten entsandt würden. Darüber hinaus sei die Satzung von der Rechtsaufsicht der Universität genehmigt worden, die „erfahrungsgemäß sehr kritisch“ im Umgang mit der VS sei.
Doch es bleibt nicht bei der rechtlichen Ebene. Hinter der Klage steht zum Einen eine bis ins Jahr 2013 zurückreichende Meinungsverschiedenheit zwischen den Befürwortern des StuRa- und des alternativen StuPa-Modells, und zum Anderen ein handfester politischer Konflikt zwischen verschiedenen hochschulpolitischen Lagern in Heidelberg.
Bei der VS-Urabstimmung 2013 hatte sich eine klare Mehrheit der Studierenden für das StuRa-Modell entschieden. Die meisten politischen Hochschulgruppen und einige große Fachschaften wie Jura und Medizin hatten sich für das StuPa-Modell mit ausschließlich hochschulpolitischen Listenvertretern ausgesprochen, die Grüne Hochschulgruppe und die Mehrheit der Fachschaften hingegen hatten den StuRa favorisiert. Markus Fiedler, einer der Kläger, erklärt: „Rechtliche Bedenken hatten wir schon seit der Urabstimmung, doch erst nachdem zwei von uns ihr erstes Staatsexamen absolviert haben, hatten wir Zeit uns in die Materie einzuarbeiten.“ Im Gegensatz zu den vier Jura-Studierenden wollen die meisten der damaligen Gegner jedoch das Modell nicht anfechten. Alexander Hummel vom Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband (SDS) und Referent für Politische Bildung betont beispielsweise: „Wir waren auch für das StuPa-Modell, engagieren uns aber jetzt trotzdem. Unserer Meinung nach ist es nach drei Jahren zu früh für eine Bewertung des StuRa-Systems, und wenn überhaupt, müsste man eine erneute Urabstimmung veranlassen.“
Dass bei der Klage auch politische Interessen mitschwingen, zeigt nicht zuletzt die Pressemitteilung der vier RCDS-Mitglieder. Mit einem Sitz im StuRa vertreten, sehen sie das Gremium von einer „linken Mehrheit“ beherrscht, gegen die „mit sachlichen Argumenten nicht mehr anzukommen“ sei, so Maximilian Böck, ein weiterer Kläger und ehemaliges StuRa-Mitglied. Eine „kleine Gruppe von Studentenvertretern“ nutze das Budget aus den „Zwangsbeiträgen“ der Studierenden für „Projekte aus dem linksideologischen Spektrum“, so die Pressemitteilung weiter. Dem hält Sven Eck, Öffentlichkeitsreferent der VS und SDS-Mitglied, entgegen, dass „gerade die Fachschaftsvertreter im StuRa nicht ideologisch in irgendeiner Richtung“ seien, da sie vor allem die Belange ihrer jeweiligen Fachschaftsmitglieder vertreten würden. Im Fall seiner Fachschaft Geschichte sei beispielsweise vor ihm auch schon ein Mitglied der Jungen Union Vertreter gewesen. Ob ein Fachschaftsvertreter einer politischen Gruppe oder Partei angehört, wird vom StuRa nicht offiziell erfasst, sodass sich keine Mehrheiten im Sinne herkömmlicher Fraktionen klar ausmachen lassen.
Trotzdem herrscht bei den Klägern „politische Frustration“, wie sie gegenüber dem ruprecht bestätigen. „Im Nachhinein ist es schwer zu sagen, ob wir bei anderen Mehrheitsverhältnissen auch geklagt hätten“, so Johannes Maurer, der vierte Kläger. „Die Botschaft ist aber nicht, dass wir das nur machen würden, weil wir politisch unzufrieden sind. Es geht uns auch nicht um Personen, die wir angreifen wollen, sondern darum, auf ein strukturelles Problem aufmerksam zu machen“, ergänzt Maximilian Böck. Man habe großen Respekt vor dem persönlichen Einsatz der VS-Engagierten und habe sich selbst so gut es gehe eingebracht. Auch die Fachschaften und deren dezentrale Arbeit wollen die RCDS-Mitglieder nicht durch die Klage angegriffen wissen. „Aber ein Antrag auf eine Satzungsänderung wäre aussichtslos gewesen.“
Louisa Erdmann und Pietro Viggiani, die Vorsitzenden der VS, sind sich hingegen sicher: „Wenn eine Gruppe sich nicht genug eingebunden fühlt oder meint, ihre Forderungen würden nicht gehört, dann ist der Ort dafür der Studierendenrat, nicht der Gerichtssaal.“ Auch Sven Eck spricht gegenüber dem ruprecht von „Bedauern“ über die Klage. „Ich hätte mir eine andere Art der Auseinandersetzung gewünscht.“
Justizreferent Glenn „Tenko“ Bauer bezeichnet die Klage als „maximale Eskalation“. Er sieht dahinter ein Wahlkampfmanöver des CDU-nahen RCDS: „Der mediale Lärm, mit der diese Klage eingereicht wurde und die Tatsache, dass wir uns wenige Monate vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg befinden, sprechen dabei Bände.“ Dieser Vorwurf wurde bereits mehrfach in der Debatte laut – nicht zuletzt, weil die Kläger in ihrer Pressemitteilung auch die grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer direkt angreifen. Gegenüber dem ruprecht wehrt sich Maximilian Böck jedoch gegen diese Vermutung: „Wir sind kein CDU-Wahlkampfteam, wir wollen nur eine Diskussion über den StuRa. Wir rechnen nicht damit, dass vor der Wahl noch etwas passiert – da hätten wir früher klagen müssen.“
Die VS muss nun in den nächsten Wochen auf die Vorwürfe antworten. Der StuRa genehmigte in seiner ersten Januarsitzung unter Enthaltung unter anderem des RCDS 2 000 Euro, um einen spezialisierten Anwalt einschalten zu können. Die vier Kläger hingegen wollen sich vor Gericht selbst vertreten, doch ein Termin steht noch nicht fest und kann bis Jahresende auf sich warten lassen.
Von Simon Koenigsdorff