Die Werke von Petra Lindenmeyer decken die menschliche Verletzbarkeit auf, sind jedoch gleichzeitig ein einfühlsamer Trost.
Behutsam mit Fäden verzierte Fotografien, Skizzenbücher, in denen stundenlang geblättert werden kann, zarte Spitzendecken, farbenfrohe, lebendige Gemälde an den Wänden – von lauter Kostbarkeiten umgeben sitze ich am Tisch mit der Künstlerin Petra Lindenmeyer. Unser Gespräch spannt sich von Frauenrechten bis zur Ästhetik des Romanesco-Blumenkohls. Der rote Faden: natürlich die Kunst.
Nach einer Ausbildung zur Schriftsetzerin studierte Lindenmeyer Malerei in Freiburg und Karlsruhe. Seit 1998 wohnt sie in Heidelberg. Oberflächen verschiedener Art und Textur sind wichtige Elemente ihrer Arbeiten. In ihren Künstlerbüchern stoße ich auf Bohnenhülsen, Ausschnitte aus Reklameblättern, allerlei gewohnte, jedoch unerwartete Materialien. Vor allem benutzt sie Fäden als entscheidendes Medium – sie lassen das Werk in den Raum hervordringen, verweben scheinbar Gegensätzliches zu einem Ganzen.
Lindenmeyers Arbeiten erzählen Lebensgeschichten, die wie von Fäden und Spitzen aller Arten auch von vielfältigen Perspektiven durchzogen sind. Der im Mittelpunkt stehende Mensch wird in ihnen mal nüchtern in seiner ganzen Fragilität gezeigt, mal tröstend und liebevoll beschützt. „Als Mensch wird man immer wieder angegriffen von den Widrigkeiten der Welt, man sitzt auf der Bombe“, meint Lindenmeyer. In bunten, fröhlich wirkenden Werken zeigt sich beim näheren Betrachten das kauernde Individuum, auf das sich die ungestüme Welt stürzt. Im Gegensatz dazu wird in der Serie „Pets“ der Mensch in die Rolle des Haustiers versetzt. In einer wolligen, beruhigenden Welt wird er von sanften Händen geborgen – ein Gedankenexperiment der Zärtlichkeit. „Ich finde, Kunst sollte gleichzeitig auch ein wenig das Träumen ermöglichen“, sagt Lindenmeyer. So setzt sich ihre Kunst kontinuierlich mit dem Konflikt zwischen rigiden gesellschaftlichen Rollenmustern und Individuum, mit dem Feintuning zwischen Offenheit und Verletzbarkeit auseinander.
Berührt von Herta Müllers Roman „Atemschaukel“, der um die Erlebnisse eines Jungen im KZ kreist, griff Lindenmeyer auch das Spitzentaschentuch als Material auf und fertigte ein spannungsreiches Künstlerbuch an. „Kritische Themen ästhetisch zu verpacken, damit sie erträglicher und zugänglicher werden, ist eine wichtige Funktion der Kunst“, meint sie.
Lindenmeyer ist engagiertes Mitglied des Künstlerinnenverbands GEDOK und des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler. Auch für die Kultur der Heidelberger Südstadt setzt sie sich ein. Dieses Jahr wirkt sie an dem Projekt „Zäsur“ mit, das den Park und das Eddyhaus in der Rheinstraße „zivil machen“ soll. Mit welchen feinfühligen, augenzwinkernden Sujets sie die Strenge des ehemaligen Militärgebäudes außer Gefecht setzen wird, bleibt gespannt abzuwarten.
von Marie Jin Oehmann