Schlagwörter verschaffen Aufmerksamkeit und generieren Klicks in der weiten Welt des Onlinejournalismus. Ihre gezielte Verwendung nennt man suchmaschinenoptimiertes Schreiben oder auch „search engine optimization“ (SEO). Sollten Journalisten ihre Texte danach ausrichten?
[dropcap]U[/dropcap]nsere Journalisten arbeiten mit unseren Software-Entwicklern und Produktmanagern Seite an Seite. Wir sind alle datenorientiert, haben Social Media im Herzen und unsere User immer im Blick.“ Es war im Oktober 2014, Focus Online hatte soeben Spiegel Online in der digitalen Nutzerreichweite überholt, als der Geschäftsführer der Tomorrow Focus Media GmbH, Oliver Eckert, jubelnd diese Pressemitteilung verschickte. Was er damals als Erfolg vermeldete, erlaubt einen Einblick in ein kaputtes System.
Natürlich ist es schön für Focus Online, dass so viele User eine Seite besuchen, die auf dem Titelbild ihrer Erstausgabe zu wissen glaubte, dass Hans-Dietrich Genscher der nächste Bundespräsident werden würde. Doch der Weg von der Ente bis zum Internetprimus ist – nicht zuletzt durch die Perfektionierung von suchmaschinenoptimierten Schreiben (SEO) – fraglich. Wollen Internetnutzer wirklich Informationen von Journalisten, die sich am meisten mit Suchmaschinen, Algorithmen und Reichweite auseinandergesetzt oder von Reportern, die sich auf Recherche und eine gute Schreibe konzentriert haben?
Längst ist SEO ein rentables Geschäft. In Seminaren lernen Journalisten, was sie beachten müssen, damit ihre Artikel im Netz schnell gefunden werden. Sie bekommen Tipps wie „Verwenden Sie Keywords“, „Schreiben Sie einfach“ oder „Vermeiden Sie Metaphern“. Natürlich geht es im Journalismus nicht darum, sich möglichst kompliziert auszudrücken. Wer aber das Vokabular auf ein Minimum verstümmelt, wandelt auf den Spuren von Orwells „Neusprech“. Sprache zusammengestutzt auf die nötigsten Worte, aller Ästhetik und Vielfalt beraubt? Eine düstere Vorstellung, verstehe ich Journalismus doch eher als Literatur in Schnellform.
Wenn Focus Online „datenorientiert“ arbeitet und dabei die „User immer im Blick“ hat, ist das ein weiteres Problem, dann gehen nicht nur Sprache, sondern auch Inhalte verloren. Nur weil Leser gerne über Katastrophen, Pornographie und Tiere lesen und bevorzugt auf diese Artikel klicken, kann man deshalb doch nicht seine Themen darauf abstimmen. Wir sind mündige Journalisten, nicht Trash-Produzenten, die dem Publikum nach dem Mund schreiben. Es ist unsere Aufgabe, die Leser auf Dinge aufmerksam zu machen, die ihnen noch nicht bekannt sind. Klar, was der User nicht kennt, das googelt er nicht, aber ist das wirklich das Kriterium im Journalismus?
Je erfolgreicher SEO wird, desto mehr kommen andere Akteure unter Druck, sich zu assimilieren
Es ist eines der Probleme unserer Zeit, dass wir immer zuerst an die Außenwirkung – in diesem Fall das Gefundenwerden – denken, anstatt aus intrinsischer Motivation heraus zu arbeiten und darauf zu vertrauen, dass etwas, das gut gemacht ist, auch gefunden wird. Kafka hätte sicherlich nie so geschrieben, wie er es getan hat, wenn er sich allein am Mainstream und den Massen seiner Zeit orientiert hätte. Die Massen kamen dann – wenn auch postum – von allein.
Je erfolgreicher SEO, desto mehr kommen andere Akteure unter Druck, sich zu assimilieren. Längst arbeiten auch ehemals konservative Nachrichtenseiten mit Schlagwörtern, Linkpyramiden und Clickbaits. Immer häufiger stolpert man über billig produzierte Kurzvideos, unnütze Toplists und voyeuristische Bildergalerien. In Zeiten, in denen jeder Klick Geld bedeutet, scheint Quantität über Qualität zu siegen.
Vielleicht liegt der Fehler aber gar nicht bei den Schreibern, sondern bei den Lesern. Denn sobald wir Konsumenten große Teile unserer Informationen auf Portalen suchen, die sich diesen Algorithmuszwängen unterwerfen, wird es völlig normal, nicht maximal informativ zu kommunizieren, sondern maximal aufmerksamkeitserregend. Um das noch mündig entscheiden zu können, wären SEO-Seminare dann wohl eher für Leser, denn für die schreibende Zunft nötig.
Als Journalist ist es nicht arrogant, sich der Suchmaschinenoptimierung zu verweigern, sondern zeugt von Meinungsstärke, Selbstbewusstsein und Facettenreichtum. Und davon lebt guter Journalismus. Wer Einheitsberichtserstattungsbrei will, kann ja den Videotext lesen.
Von Felix Hackenbruch