Im Namen der Tumorforschung wird die DNA von Patienten gesammelt, analysiert und weitergereicht. Ist überhaupt noch zu überblicken, wer welches Genom einsehen kann?
In Heidelberg beherbergt das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) Daten für das International Cancer Genome Consortium (ICGC), eines der größten wissenschaftlichen Verbundprojekte der Krebsforschung: Tumorpatienten, die in Heidelberg behandelt werden, werden Blut- und Gewebeproben entnommen und die DNA analysiert.
So entsteht eine laufend wachsende Datenbank – auf mehrere Petabyte angelegt – mit anonymisierten genetischen und klinischen Daten zu einzelnen Patienten. Diese sind den internationalen Verbundmitgliedern des ICGC zugänglich und sollen der Gewinnung neuer Erkenntnisse in der Krebsforschung dienen. Patienten, die ihre DNA zur Verfügung stellen, erhoffen sich individualisierte Therapielösungen und möchten einen Beitrag zur Forschung leisten.
In Deutschland ist die Analyse genetischer Daten für den medizinischen Bereich im Gendiagnostikgesetz (GenDG) geregelt. Dort ist unter anderem festgelegt, dass Patienten der Analyse zustimmen müssen und ihre Zustimmung auch nach der Entnahme widerrufen können.
EURAT (Ethische und Rechtliche Aspekte der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms), ein Zusammenschluss, dessen Heidelberger Mitglieder neben dem DKFZ auch das NCT (Nationale Centrum für Tumorerkrankungen), das Uniklinikum und das EMBL umfasst, hat im November eine Stellungnahme dazu veröffentlicht. Die „Eckpunkte für eine Heidelberger Praxis in der Ganzgenomsequenzierung” sollen die Lücken des GenDG schließen und einen Leitfaden für die Handhabung vertraulicher Daten bieten. So wendet er sich explizit an Forschende, nicht Heilende, die ohnehin der Schweigepflicht unterliegen und mit dem am Hippokratischen Eid angelehnten Genfer Ärztegelöbnis einen eigenen Kodex haben. Wissenschaftler, die bei ihrer Forschung etwas entdecken, das für den Spender des Datensatzes eine andere Behandlungsmöglichkeit eröffnet, sind dazu angehalten, dies weiterzugeben, damit der behandelnde Arzt den Patienten informieren und die Therapie anpassen kann.
Entdecken die Forscher, dass der Spender für eine andere Krankheit ein genetisches Risiko besitzt, liegt es an dem Patienten, wie damit verfahren wird. Vorab kann er auswählen, ob er informiert werden oder von seinem Recht auf Nichtwissen Gebrauch machen will.
Auch das Widerrufsrecht des Patienten wird, zumindest innerhalb der EURAT-Mitglieder, berücksichtigt werden und die betreffenden Daten gelöscht. Da das ICGC jedoch ein internationales Projekt ist, und auch ausländische Institutionen im Rahmen des Datenaustauschs an die Daten kommen, kann dies nur unvollständig umgesetzt werden. Für Daten, die zum Beispiel an ein US-Institut weitergegeben wurden und dort bereits in einer Studie Verwendung fanden, gilt die dortige Datenschutzregelung.
In den USA werden Datenschutz und Persönlichkeitsrecht nicht so eng ausgelegt wie in Deutschland. Es gibt für einmal erhobene Daten kein Widerrufsrecht, und somit müssen sie auch nicht gelöscht werden. Anders als in Deutschland ist in anderen Ländern der Zugang zu den Daten auch nicht immer auf Forscher beschränkt. Einige Datenbanken sind öffentlich und erlauben zumindest die Einsicht in Abschnitte eines Genoms, die aber für eine Identifikation schon ausreichen können. In New York hat die Künstlerin Heather Dewey-Hagborg Haare und Kaugummis auf öffentlichen Plätzen gesammelt, die DNA extrahiert und analysiert und dann Plastiken mit den physiognomischen Merkmalen erstellt. Die Polizei erkundigte sich, wie sie den Prozess nutzen könnten. Aber um ihre Privatsphäre besorgte Bürger meldeten sich bei ihr nicht, das ist in den USA kein Thema. In Deutschland ist es nicht erlaubt, DNA ohne die Einwilligung des Betroffenen zu analysieren oder gar zu veröffentlichen. Ersteres stellt einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar, letzteres verstößt gegen den Datenschutz. Im GenDG wird sogar ein mögliches Verkaufsverbot der zur Genomsequenzierung notwendigen Mittel an Privatpersonen angedacht. In den USA dagegen gibt man seine DNA viel selbstverständlicher preis. Neben öffentlichen Datenbanken mit Genomen gibt es viele Labore, die Gentests oder Komplettsequenzierungen anbieten. In dem Einwanderungsland ist es beliebt, eine Speichelprobe an ein Labor zu schicken, um zu erfahren, zu wievielen Prozent man „Caucasian”, „Sub-saharan” oder „Native American” ist. Auch für die Familienzusammenführung gibt es Netzwerke, wo man sein DNA-Profil hochladen und nach Menschen mit ähnlichem Profil suchen kann. Dabei gibt man nicht nur seinen eigenen DNA-Bauplan preis, sondern auch das genetische Grundgerüst seiner Blutsverwandten.
In Deutschland konnte mithilfe dieser verwandtschaftlichen Ähnlichkeit ein minderjähriger Vergewaltiger identifiziert werden, da sein Vater bei einem Reihen-Gentest teilgenommen hatte und die Polizei entdeckte, dass ein Familienmitglied der Täter sein musste. Daraufhin urteilte der BGH, dass bei solchen Reihen-Tests darauf hingewiesen werden muss, dass man durch die Teilnahme indirekt Verwandte belasten und somit seines Zeugnisverweigerungsrechts beraubt werden könnte. Der Vergleich von Proben untereinander ist übrigens verboten und bei der Untersuchung der DNA werden in der Regel nur einzelne Abschnitte mit der Täterspur verglichen. Die DNA des Täters wird auch sonst nicht analysiert, wie zum Beispiel zur erwähnten Phantombild-Erstellung.
Auch in der Forschung ist es schon zu „Besitzstreiten” über DNA-Sequenzen gekommen, deren ursprünglicher Spender verstorben war, aber dessen Nachfahren an den Forschungserfolgen teilhaben oder zumindest anerkannt werden wollten. Letztendlich bleibt es nicht alleine bei einem selbst, ob man sein Genom der Forschung oder der Allgemeinheit zur Verfügung stellen will; auch aus der DNA eines Cousins können Informationen über die eigene Person gewonnen werden.
Heather Dewey-Hagborg hat den Python-Code, mit dem sie DNA-Phantombilder erstellt, auf der Code-Platform github veröffentlicht. Mit einem seit kurzem erhältlichen Sequenzierungsgerät im Handtaschenformat kann dann bald jeder ein Phantombild der Person erstellen, die an seine Hauswand gepinkelt hat.
Von Jani Takhsha