Immer mehr Schulen setzen auf Tablets und Computer – das handschriftliche Schreiben rückt in den Hintergrund.
Grundschulen, in denen die Kinder Deutsch an Tablets lernen, waren noch vor ein paar Jahren eine Seltenheit. Heutzutage gibt es immer mehr Schulen, die bereits in der ersten Klasse auf den Einsatz von Computern setzen. Die Kinder lernen früh den Umgang mit diesen Medien und das Tastaturschreiben. Doch ungeachtet der Frage, wie sinnvoll der Einsatz von Laptops und Tablets in den Schulen ist, entwickelt sich ein anderes Phänomen: Schüler schreiben laut einer Studie des Deutschen Lehrerverbandes von 2015, an der über 2000 Lehrer teilnahmen, immer schlechter mit der Hand, insbesondere bei der Schreibschrift. Der Umfrage zufolge sahen 53 Prozent der Grundschul-, und 69 Prozent der Lehrer weiterführender Schulen die fortschreitende Digitalisierung als Ursache. Außerdem hat sich die Schreibmotorik in den letzten Jahren im Durchschnitt schulübergreifend verschlechtert. In Finnland wird ab Herbst 2016 in der Schule keine Schreibschrift mehr unterrichtet werden, beziehungsweise nur noch auf freiwilliger Basis der Lehrer. Aber was ist eine gute Handschrift und wann braucht man sie? Eine, die schnell schreibbar und gleichzeitig gut lesbar ist, so die Stimmen der Lehrer und Eltern.
Mit dieser Frage beschäftigte sich auch der Heidelberger Schreibgeräte-Hersteller Lamy, der dieses Jahr das Jubiläum „50 Jahre Lamy-Design“ feiern darf. Das von Lamy gegründete Expertenforum, bestehend aus insgesamt sechs Wissenschaftlern, Therapeuten und Pädagogen, befasste sich mit den Fragen, ob die Handschrift in der heutigen Form noch zeitgemäß und in welchen Feldern sie wichtig sei, und auch, welche Bedeutung die Handschrift in der Gesellschaft und der persönlichen Entwicklung des Kindes spiele. Der Firmenphilosphie nach war es ausdrücklich kein Ziel, Schreibgeräte und digitale Medien in ein konkurrierendes Verhältnis zueinander zu stellen.
Im Moment lernen Grundschüler zwei Schriften: erst eine Druckschrift und im Anschluss eine Schreibschrift. Dabei können je nach Bundesland entweder die Bildungsministerien oder die einzelnen Lehrer wählen, welche Schreibschrift sie unterrichten: die lateinische Ausgangsschrift, die Schulausgangsschrift oder die vereinfachte Ausgangsschrift. Diese drei Schreibschriften unterscheiden sich nur durch die Form der Buchstaben. Der Grundschulverband möchte das zweistufige Erlernen der Schrift beenden und plädiert für die Einführung einer weiteren, der sogenannten Grundschrift, bei der die einzelnen Buchstaben verbunden werden können, aber nicht müssen. Diese soll von Anfang an als einzige Schrift gelehrt werden. Guido Nottbusch, Professor für Grundschulpädagogik an der Universität Potsdam, stellte im Expertenforum klar, dass das Schreibenlernen in einer Schreibschrift ein wichtiger Automatismus sei, da Kinder bei nicht verbundenen Schriften kein Gefühl dafür hätten, wie ein Wort als Ganzes geschrieben werde. Dies untermauert auch eine kanadische Studie, bei der von 700 Zweitklässlern diejenigen, die nur eine Schreibschrift lernten, ein besseres Grammatikverständnis zeigten, als diejenigen, die entweder nur Druckschrift, nur Schreibschrift oder erst Druck-, dann Schreibschrift gelernt hatten.
Auch unser Erinnerungsvermögen ist eng an die handschriftliche Produktion von Text gebunden, wie Forscher der Universität Princeton herausfanden. Wer in der Vorlesung am Computer mitschreibt, kann sich schlechter an die Inhalte erinnern als jemand, der handschriftliche Notizen macht, denn das handschriftliche Schreiben zwingt dazu, das Gehörte zu reflektieren. Dies belegten sie mit einer Studie, bei der zwei Gruppen von Studenten verglichen wurden, die jeweils mit der Hand und mit dem Laptop eine Vorlesung mitschrieben. Die Testgruppe „Handschreiben“ verarbeitete die Informationen während des Schreibens bereits, da sie das Gehörte in ihre eigenen Worte übertragen musste. Dadurch hatten sie später einen kleinen Lernvorteil, während die andere Gruppe dazu tendierte, die Vorlesung lediglich zu kopieren. Im Zuge der Digitalisierung unserer Zeit verliert das Schreiben seine Natürlichkeit und die Bewegungsmuster verändern sich.
Einig sind sich die Experten jedenfalls in einem Punkt: Die Handschrift ist nicht vom Aussterben bedroht, denn dafür sei sie viel zu wichtig, nicht nur als Ausdruck der Persönlichkeit, sondern auch für die Entwicklung der eigenen Identität. Wer sowohl sein Erinnerungsvermögen als auch die individuelle Handschrift trainieren und verbessern möchte, kann mittlerweile zu Stiften greifen, die das geschriebene digital erfassen und auf den Computer übertragen oder schon bereits beim Schreiben vibrieren, wenn man einen Rechtschreibfehler macht.
Von Verena Mengen