Schlagwörter verschaffen Aufmerksamkeit und generieren Klicks in der weiten Welt des Onlinejournalismus. Ihre gezielte Verwendung nennt man suchmaschinenoptimiertes Schreiben oder auch „search engine optimization“ (SEO). Sollten Journalisten ihre Texte danach ausrichten?
[dropcap]E[/dropcap]ine meiner Lieblingsgeschichten zur Suchmaschinenoptimierung – sie stammt ungefähr aus der Internet-Bronzezeit – geht so: Man schrieb ein paar Begriffe, die häufig gesucht wurden, in sogenannte Meta-Keywords, also einen für normale User unsichtbaren Bereich des HTML-Codes einer Webseite. Für Suchmaschinen waren exakt diese Begriffe die inhaltliche Beschreibung der Webseite. Wenn man da also einfach „sex, porno, pamela anderson“ reinschrieb, wurde die eigene Seite häufig gefunden, auch wenn es auf dieser eigentlich um eine statistische Analyse syntaktischer Anomalien in Gaius Julius Caesars De Bello Gallico ging.
SEO hat durch diese Praktiken einen schlechten Ruf. Da Google für seine Ergebnisliste nur den tatsächlichen Text und die Verlinkungen einer Seite heranzieht, werden manche Texte mit „Keywords“ vollgestopft, um bei Google ein hohes Ranking zu erzielen. Wenn man sich aber etwas mit SEO für journalistische Websites beschäftigt, stellt man schnell fest: Diese Tricksereien haben mit suchmaschinenorientiertem Schreiben wenig bis gar nichts zu tun.
Viele Journalisten sind deshalb aber noch immer misstrauisch und lehnen SEO ab. Auch heute hört man leider noch von gestandenen Kollegen Sätze wie „Aber ich schreib’ doch für meine Nutzer, nicht für Google!“ oder „Da geht ja die ganze Kreativität verloren!“ Als Journalist sollte man aber zumindest mit den grundlegenden Funktionsweisen der eigenen Publikationskanäle vertraut machen.
Liegt es als Journalist nicht in meinem ureigensten Interesse, mit meinen Inhalten möglichst auch den letzten Menschen zu erreichen, der in fünf Jahren einen der entscheidenden Suchbegriffe tippt? Insbesondere, wenn wie bei den meisten großen journalistischen Online-Medien zwischen einem Viertel und der Hälfte aller Nutzer über Suchmaschinen auf die Inhalte klicken?
Mir persönlich ist es völlig unverständlich, wie einem das als Journalist egal sein kann. Ich behaupte: Wer gar nicht suchmaschinenoptimiert schreiben will, ist arrogant gegenüber seinem Kunden, dem Leser. Er sagt ihm nämlich: Ich bin so verliebt in meine Schreibe, es ist mir völlig egal, ob und wie du das findest und demzufolge auch egal, ob du mich liest oder nicht.
Wer gar nicht suchmaschinenoptimiert schreiben will, ist arrogant gegenüber seinem Kunden, dem Leser
Natürlich ist es auch wichtig, ansprechend zu formulieren – insbesondere in Überschriften und Zwischentiteln. Aber man sollte eben auch daran denken, dass die ja eine Funktion haben, die sie den Usern gegenüber erfüllen müssen. Sueddeutsche.de hat dieses Problem sinnvoll gelöst: Es gab mal einen Artikel über den Fußballer Luis Suárez aus Uruguay, der gerne mit Beißattacken von sich reden macht, mit „Der weiße Hai des Weltfußballs“ überschrieben. Aus Lesersicht ist das ziemlich lustig, aus SEO-Sicht leider völlig nutzlos.
Aber da ist ja noch die kleine Dachzeile über der eigentlichen Überschrift. Dort standen dann Dinge wie „Uruguays Luis Suárez“– eben die „Keywords“. Und schon sind beide bedient: Der Journalist und der Suchmaschinennutzer. Mit dieser Technik arbeiten heute viele etablierte Medien.
Das Beispiel zeigt: Ich muss als Journalist wissen, was ich da treibe und welche Auswirkungen es auf den verschiedenen Publikationskanälen hat, was ich in mein Publikationssystem eingebe – es geht ja heute nicht mehr nur um Suchmaschinen, sondern auch Twitter, Facebook, YouTube, Instagram oder was auch immer nächste Woche der heiße Scheiß ist. All diese Publikationskanäle haben ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten. Ein Journalist, der damit nichts anfangen kann, beherrscht sein Handwerkszeug schlicht nicht.
Letztendlich geht es ja darum, sich vor dem Schreiben zu überlegen, wer das denn bitteschön in welchem Kontext lesen soll und wie ich ihn am besten dazu animieren kann, das zu tun. Ich sollte alle diese potentiellen Nutzer im Kopf vor mir haben, wenn ich in die Tasten haue – anstatt davon auszugehen, dass sie sowieso zu mir kommen.
Für den Leser schreiben – genau das sollte unser Anspruch als Journalisten sein. Sonst sind wir ja keine mehr.
Von Titus Gast