Das Heidelberger Marketingkonzept verstärkt den Wettbewerb um Wohnraum. Wo bleibt die Nachhaltigkeit?
[dropcap]E[/dropcap]nergisch wird der Schirm geschwungen, die Spitze zeigt in den grauen Heidelberger Winterhimmel. Hinter der resoluten Reiseführerin reihen sich dicht gedrängte Touristen. Mit bibbernden Fingern umklammern sie ihre iPhones und Fotokameras. Schließlich muss so einiges festgehalten werden: Das Hotel Ritter, das Tor zur Alten Brücke und natürlich eine Panoramaaufnahme der Schlossruine. Alles sind beliebte Fotomotive. Die Besucher haben diesmal Glück. Das verregnet kalte Wetter lässt eine weitgehend freie Sicht auf die Heidelberger Wahrzeichen zu. Zur Weihnachtszeit oder bei besserem Wetter, wenn die großen Touristengruppen in die Stadt strömen, wäre das ein Ding der Unmöglichkeit. Insbesondere von Frühjahr bis Herbst platzt die Stadt förmlich vor Andrang der Touristen.
Knapp zwölf Millionen besuchen jährlich die Stadt. Nicht nur für Freizeittouristen ist Heidelberg eine Reise wert. Auch Geschäftsleute kommen immer wieder an die Stadt am Neckar, um auf gemieteten Booten oder im Kongresszentrum Firmenevents zu veranstalten, und das trotz mangelnder Kapazitäten. Das von der Städtetochter Heidelberg Marketing GmbH geplante neue Kongresszentrum steht seit schier endloser Zeit (seit den Neunzigerjahren!) zur Diskussion. Nichtsdestoweniger kommen die Unternehmen in die Stadt. „Wir sind eben die schönste Stadt“, erklärt Mathias Schiemer, Geschäftsführer der Heidelberg Marketing GmbH.
Der Tourismus ist für die Stadt eine enorm wichtige Einnahmequelle. Mehr als eine halbe Milliarde Euro spült die Tourismusindustrie jährlich nach Heidelberg. Das lockt Investoren an, die durch Hotels oder teure Apartments den Platzmangel im Zentrum verstärken und die Quadratmeterpreise hochtreiben. Heidelberg war im Jahre 2011 die sechstteuerste Stadt in Deutschland. Dies ist natürlich auch ein allgemeiner Effekt der Preissteigerungen für Wohnraum in deutschen Städten. Dennoch wird durch das Anlocken von immer mehr Touristen, Einwohnern und Investoren dieser Effekt verstärkt. Die Konsequenz ist, dass Wohnraum für die im Zentrum lebenden Menschen, insbesondere für Haushalte mit niedrigen Einkommen, kaum mehr bezahlbar ist und diese demnach in die Peripherie der Stadt verdrängt werden. Es ist kein reines Heidelberger Phänomen. Doch was tut die Stadt gegen diese Entwicklung? „Wir investieren derzeit gemeinsam mit Partnern 400 Millionen Euro, um in ehemaligen Kasernen 1400 Wohnungen für alle Bevölkerungsgruppen zu schaffen, zum größten Teil im preiswerten Segment“, verspricht OB Würzner auf den Seiten der Stadt. Die Politik sei zwar damit auf dem richtigen Weg, doch die reichten bei weitem noch nicht aus, um günstigen Wohnraum zu schaffen, sagte Christoph Nestor, Leiter des Mietervereins gegenüber der RNZ.
Dabei könnten Lokalpolitiker durch ein neues Marketing- und Tourismuskonzept die nachhaltige Stadtentwicklung in einem maßvollen Umgang mit Touristen vorantreiben. Auch wenn das Wort „Nachhaltigkeit“ oft in aller Munde ist – entscheidend dabei ist, die drei Säulen Ökonomie, Ökologie und Soziales in Einklang zu bringen.
Dabei wird häufig vergessen, dass der Massentourismus hohe sogenannte „soziale Kosten“ verursacht, die sich in Umweltverschmutzung oder im Bau von neuer Verkehrsinfrastruktur widerspiegeln. Der städtische Masterplan „CO2-frei bis 2050“ ist ein guter Schritt, muss sich aber auch in einem veränderten Tourismuskonzept widerspiegeln. Ein sozial verträglicher Tourismus würde sich etwa durch Quoten für Reisegruppen in der Altstadt auszeichnen und nachhaltige Hotelkonzepte fördern. So gibt es zum Beispiel in Wien ein Hotel, das eine 0-Energie-Bilanz vorweist, Garnituren aus recycelten Stoffen besitzt und in dem Regenwasser durch die Toilettenspülung fließt.
Diese Art von sanftem Tourismus täte auch Heidelberg gut. Die Nachfrage danach ist laut aktuellen Erhebungen vorhanden. Für mehr als eine Million Menschen ist Nachhaltigkeit das wichtigste Entscheidungskriterium.
Von Monika Witzenberger und Simon Gerard Iglesias