In der Schwartz’schen Villa leben, studieren und feiern heute drei Wohngemeinschaften.
[dropcap]D[/dropcap]icht an dicht reihen sich in Heidelberg prunkvolle Herrenhäuser und fabelhafte Villen. Sie prägen das Heidelberger Stadtbild ebenso wie das Schloss oder die Alte Brücke. Gemeinsam haben sie, dass sie von Heidelbergs oberen Zehntausend bewohnt werden. Alle pflegen und ehren die Historie der Häuser, die oft schon seit Jahrzehnten in Familienbesitz sind. Ein Haus, dicht über dem Heidelberger Schloss, das sich zwischen dicht wachsenden Bäumen versteckt, fällt dabei aus dem Rahmen – dabei steht es in puncto Geschichte den anderen Bauwerken in nichts nach.
Kaum einer kennt das Haus im Molkenkurweg und auch die derzeitigen Bewohner machen keine große Sache aus ihrem bemerkenswert berühmten Haus. Erbaut wurde es 1887 für Friedrich Schwarz, der darin das Schlossparkhotel eröffnete. Es gilt als Paradebeispiel für die Hotelkultur Heidelbergs des Fin de Siècle.
Die sogenannte Schwartz’sche Villa wurde deshalb direkt nach ihrer Erbauung von keiner geringeren als der Kaiserin Elisabeth von Österreich, Rufname Sissi, ihrer Tochter Erzherzogin Marie Valerie und deren Verlobtem bewohnt. Oft besuchten die beiden Heidelberg und verliebten sich in die schöne Stadt. Sissi, die damals 45-jährige, bei allen bekannte Kaiserin, liebte die private und zurückgezogene Atmosphäre hoch über dem Schloss. Sie beschrieb die Lage des Hauses auf der nördlichen Seite des Neckars als äußerst vorteilhaft für ihre moderne Blässe. Mit ihrer Tochter unternahm sie oft lange Spaziergänge auf den Königstuhl oder nach Schlierbach. Dabei trällerten sie am liebsten das Lied „Alt Heidelberg“. Die Stadt benannte sogar Wanderwege nach ihnen, weshalb Touristen nun den Valerieweg und den Elisabethenweg entlangschlendern können, von wo aus man einen Abstecher zur Schwartz’schen Villa machen kann.
Natürlich musste sich die Kaiserin bei ihren Aufenthalten auch den repräsentativen Aufgaben einer Adligen widmen, so übergab sie 1885 Oberbürgermeister Wilckens das Ritterkreuz des Franz-Joseph-Ordens. Erstrebenswert war für sie zugleich das Erlernen des Fechtens. Unter weiteren königlichen Disziplinen wie Reiten, Tanzen und Musizieren fehlte dies noch unter den Qualitäten der Kaiserin. Hierzu bekam sie im Garten des Schlossparkhotels von Universitätsfechtmeister Friedrich Schulze, der als angesehenster Fechter Deutschlands galt, Unterricht. Unter anderem schrieb sie darüber das 15-strophige Gedicht „Aus meiner Burschenzeit“. Die Umgebung des Schlossparkhotels inspirierte sie zu weiteren Gedichten.
Doch auch nach Kaiserin Elisabeth reichte sich die Prominenz im Schlossparkhotel die Klinke in die Hand. Historiker Ernst Kantorowicz schrieb hier große Teile seines opus magnum über Friedrich II. Hierbei hatte er von 1923 bis 1926 häufig Besuch von Lyriker Stefan George. Viktor von Weizsäcker erinnert sich, dass auch Martin Buber zeitweise hier wohnte und jedes Zusammentreffen mit Stefan George sorgfältig vermied.
Im Jahre 1926 beherbergte das Hotel Schauspieler der Heidelberger Schlossfestspiele. Auch Heinrich George, der bei den Reichsfestspielen 1937 den Götz von Berlichingen verkörperte, wohnte im Schlossparkhotel, bis er sich mit dem Dienstmädchen Annie verstritt und auf die andere Seite des Neckars zog. Danach war das Haus weiterhin in Familienbesitz, wurde jedoch als Mehrfamilienhaus genutzt. Man munkelt von verrückten Künstlern, die Experimente im Keller machten, und lange Zeit bot es wohl einer Arztpraxis für die Celebrities vom Schlossberg Schutz.
Wer sich nun fragt, wer heutzutage in einer so schönen Villa mit Balkonaussicht auf das Schloss und ins Neckartal, stuckverzierten Decken und aufwendig dekoriertem Fensterglas wohnt, dem können wir sagen, dass die aktuellen Bewohner und die früheren Gäste des Hauses nicht unterschiedlicher sein könnten.
[dropcap]V[/dropcap]or sieben Jahren beschloss die Eigentümerin, das Haus nicht nur wenigen betuchten Menschen zu Verfügung zu stellen oder gar eine kommerzielle Touri-Hochburg daraus zu machen, sondern Wohnraum zu schaffen, der in Heidelberg dringend benötigt wird. Wie sich dieses Vorhaben entwickelt hat, konnte ich bei einem Besuch des Hauses feststellen.
Inzwischen finden dort drei Wohngemeinschaften Platz, bunt gemischt aus Studenten und Arbeitnehmern, jung und nicht mehr ganz so jung. Das Ziel ist ein großes Hausprojekt mit gemeinsamer Garten- und Keller- Nutzung. Bereits jetzt sitzen die Bewohner des Hauses gerne zusammen zum Essen oder bei einem Glas Wein. „Aus der Möglichkeit entstand das Ideal“, scherzt einer der Mitbewohner. Der Konsens des Hauses ist jedoch klar: Wer aus der Stadt nach oben kommt, hat Lust sich miteinander zu beschäftigen, miteinander Zeit zu verbringen und sich auf seine Mitbewohner einzulassen. Deshalb freuen sich die Bewohner, verschiedene „Disziplinen“ in ihrem Haus zu vereinen, um den Austausch untereinander zu fördern. „Es ist interessant in andere Studiengänge hineinzublicken, auch wenn man sich nicht komplett mit diesen Fächern beschäftigen möchte“, erzählten mir die WG-Bewohner. „Es geht aber auch darum, sein Studium durchzuziehen und nicht im Dreck zu versinken.“
Der historische Charakter des Hauses rückt im Zusammenleben meist in den Hintergrund. Auch in der Wohnung erinnert nur noch der ehemalige Speiseaufzug an vergangene Zeiten. Die alten Gemälde der Kaiserin lagern ebenfalls dort.
Vorstellungen, wie in Zukunft das Haus gestaltet werden soll, gibt es natürlich auch. An erster Stelle stehen wohl Partys, mit denen die WG-Kasse aufgebessert werden soll. Der geräumige Keller bietet dazu Platz für angedachte „Drum n’ Bass-Partys“. Langfristig soll dieser als Probenraum für die musikalischen Mitbewohner dienen. Besser ist jedoch der Garten zum Feiern geeignet. Im Sommer sollen dort Künstler auftreten, Getränke und Snacks zu Studentenpreisen angeboten werden, um ausgelassen zu tanzen, zu feiern und sich auszutauschen. Auch ein „Off-Space“-Bereich mit Hängematten schwebt ihnen vor. Dann gibt es da noch diese andere Idee: Diese eine Sache, die mit Sissi zu tun hat. Eine vage Vorstellung, von der die Hausbewohner träumen: Ein Independence-Café im Garten für Touristen, sie nennen es „Touri-Ripp-Off“. „Hier trinkt man dann einen Kaffee für vier Euro, direkt im Garten, in dem die Kaiserin von Österreich fechten gelernt hat.“ Dazu Gebäck und ein anderer Mitbewohner möchte seine bald weltberühmten Sissi-Spaghetti anbieten. Also wenn das das Geld nicht wert ist?
Von Maren Kaps