Das Leben von Leonardo DiCaprio ist eigentlich in Ordnung. Er ist einer der am besten bezahltesten und bekanntesten Schauspieler der Welt, sieht hervorragend aus und hat noch viel hervorragender aussehende Freundinnen. Doch etwas fehlt dem 41-Jährigen zur Vollendung seines Lebensglücks: ein Oscar. Bis jetzt war Leonardo viermal nominiert, ging aber jedes Mal leer aus. Zuletzt 2014 für „The Wolf of Wall Street“.
Mit „The Revenant“ soll es nun endlich klappen. Dafür hat er Koks, Nutten und Aktien gegen Schnee, Schießereien und Schmerz getauscht. Es ist die Geschichte von Hugh Glass – einer alten amerikanischen Folklore, die im noch unerforschten wilden Norden des Kontinents im frühen 18. Jahrhundert spielt. Als Guide führt er zusammen mit seinem Sohn eine Gruppe Pelzjäger durch die winterliche Wildnis zurück zum sicheren Fort. Unterwegs gerät Glass zwischen zwei Grizzly-Jungen und ihre wütende Mama, die ihn attackiert und schwer verletzt. Glass scheint nicht mehr zu retten zu sein und wird zum Sterben zurückgelassen. Der zwielichtige Fitzgerald (Tom Hardy) soll ihn eigentlich bis zu seinem Tod versorgen, fürchtet aber den Anschluss zur restlichen Gruppe zu verlieren und tötet schließlich vor den Augen von Glass seinen geliebten Sohn, um danach den fast regungslosen Vater mit einigen Händen voll Erde zu beerdigen. Glass denkt vor Rachegelüsten aber gar nicht daran, in seinem eisigen Grab zu sterben und macht sich erst kriechend, später humpelnd auf eine Odyssee des Leidens, um Fitzgerald zu finden.
Und was muss er nicht alles auf dem Weg erleiden: Erst überlebt er den Angriff blutdurstiger Indianer und des bereits erwähnten Grizzlys, der ihm im Wald beinahe vollständig zerfleischt (wahrscheinlich eine der großartigsten Szenen, die jemals auf einer Kinoleinwand gezeigt wurde). Später übersteht er auf einem Pferd reitend auch den Sturz in eine Schlucht (wahrscheinlich eine der unrealistischen Szenen, die jemals auf einer Kinoleinwand gezeigt wurde). Zwischendurch trotzt er tagelang eisigen Schneestürmen, muss sich von Dreck und rohem Fisch ernähren und à la „Star Wars“ im Bauch eines Pferdekadavers übernachten. Währenddessen wimmert, schreit und weint er vor lauter Schmerz, bis er am Ende die Rache für seinen Sohn erlangt und natürlich den goldenen Oscar zur Belohnung.
Und den hat er verdient – denn Leonardo DiCaprio spielt wirklich grandios und gibt in den zahlreichen brutalen Kämpfen einen guten Vorgeschmack, was der Jury droht, sollte er dieses Jahr wieder leer ausgehen. Bei der fast dreistündigen Reise kommt nur selten Langeweile auf, das liegt in erster Linie an der großartigen Kameraführung von Emmanuel Lubezki („Birdman“, „Gravity“ – hat bereits zwei Oscars für die „Beste Kamera“ im Regal stehen). Bei den imposanten Landschaftsaufnahmen, mit minimalistischer Filmmusik hinterlegt, hat man teilweise das Gefühl, sich eine „Planet Erde“-Dokumentation anzuschauen. Die Kälte kriecht bei dem Schneetreiben dem Zuschauer im Kinosaal die Ärmel hoch, der faulige Atem des Bären steigt einem in die Nase und der Geschmack von Blut liegt auf der Zunge, wenn der Protagonist im Todeskampf um sein Leben ringt.
Spoiler: Am Ende übersteht Glass die Rückkehr natürlich ohne auch nur eine Erkältung und bekommt seine blutrünstige Rache an Fitzgerald. Ob er für „The Revenant“ tatsächlich den Oscar gewinnt, erfahren wir erst am 28. Februar. Der Film ist in zwölf Kategorien nominiert. DiCaprios Konkurrenz für den besten Hauptdarsteller ist übrigens Bryan Cranston – bekannt als Walter White aus „Breaking Bad“, nominiert für seine Rolle im Film „Trumbo“.
Also, liebe Oscar-Jury, belohnt den armen Leonardo. Aber nur, wenn er verspricht, dass sein schauspielerischer Ehrgeiz auch danach noch zu so großartigen Filmen wie „The Revenant“ führt.
Von Frederik Seeler