Mit „Suffragette – Taten statt Worte“ hat Sarah Gavron als Erste ein Geschichtskapitel verfilmt, das bis dato recht vernachlässigt wurde. Carey Mulligan ist dafür eine so gute Identifikationsfigur, dass der Film auch bei einem breiteren Publikum Bewusstsein für diese Thematik schaffen kann.
Frauen brauchen keine Rechte, Frauen haben einen Ehemann. Oder Vater. Der kann für sie bestimmen und entscheiden, wo kämen wir auch hin, wenn die das selbst machen würden. Mit ziemlicher Sicherheit in eine dysfunktionale, chaotische und männerunterdrückende Zukunft. Wir befinden uns in den Köpfen zahlloser Männer des frühen 20. Jahrhunderts. Die Bühne – London. Vorhang auf. Seit Jahren kämpfen die Suffragetten (leitet sich vom englischen Wort „suffrage“ = Wahlrecht her und wurde zunächst herabwürdigend von der britischen Presse gebraucht), viele von ihnen Aktivistinnen der britischen Women’s Social and Political Union (WSPU), für ihr Wahlrecht. Bisher erfolglos. Zu starr und festgefahren ist die Gesellschaft in der sie leben, zu groß die Angst der Männer vor Kontrollverlust, oder vielleicht ist es auch einfach Ignoranz. Emmeline Pankhurst (Meryl Streep), die Gründerin der WSPU und Anführerin der Suffragetten, ruft deshalb nun zum nationalen Ungehorsam auf. Die Frauen greifen ab jetzt zu radikaleren Mitteln.
In ihrem ersten militanten Protest werfen sie die Fenster von Kaufhäusern ein, Maud Watts (Carey Mulligan), seit ihrem siebten Lebensjahr Arbeiterin in einer Wäscherei im Londoner East End, gerät zufällig in den Protest. Maud ist einerseits abgeschreckt, gleichzeitig aber fasziniert. Auch in ihrer Wäscherei gibt es Anhängerinnen der Bewegung, die, als sie Mauds Interesse bemerken, hartnäckig versuchen, sie als Mitstreiterin zu gewinnen. Als Violet (Anne-Marie Duff), als Vertreterin ihrer Wäscherei, vor Ministerpräsident David Lloyd George sprechen soll, um die dortigen Arbeitsbedingungen zu schildern, wird sie von ihrem Mann so schwer verprügelt, dass Maud einspringen muss. Zum ersten Mal artikuliert sie die Ungerechtigkeiten in ihrem Leben und beginnt über die Bedeutung des Frauenwahlrechts nachzudenken. Von da an sind es nur noch ein paar Schritte zur Suffragette, zum ersten Protest, zur ersten Verhaftung. Ihr Mann (Ben Wishaw) ist zwar kein Schläger und Säufer, aber was seine Frau mit dem Wahlrecht will, versteht er trotzdem nicht. So gar nicht. Schließlich ist es ihre Bestimmung Ehefrau und Mutter zu sein und damit basta. Deshalb setzt er sie nach ihrer zweiten Verhaftung auch vor die Tür und gibt den gemeinsamen Sohn schließlich zur Adoption frei.
Auch davon lässt sich Maud, die schwer unter der Trennung von ihrem Sohn leidet, nicht aufhalten. Die Aktionen der Frauen unter der Leitung der Apothekerin Edith Ellyn (Helena Bonham Carter) werden radikaler, sie unterbrechen die Kommunikation in London, indem sie Briefkästen sprengen und Telegrafendrähte kappen und wagen schließlich einen Bombenanschlag auf das leerstehende Haus des Ministers. Für ihre Tätigkeiten zahlen sie mit Haftstrafen, Arbeitsplatzverlust und gesellschaftlicher Ächtung. Vor allem die Behandlung im Gefängnis ist unmenschlich. Die Frauen treten immer wieder in Hungerstreik, um zu erreichen, wie politische Gefangene behandelt zu werden. Aus Angst der Bewegung eine Märtyrerin zu geben, werden sie aber schließlich auf brutalste Weise zwangsernährt. Außerdem gängelt die Regierung die Berichterstattung, sodass eine noch radikalere Aktion erforderlich scheint, eine, die sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielen soll …
[box type=“shadow“ align=“aligncenter“ ]Hier findet ihr den offiziellen >Trailer zum Film. Vorstellungen werden aktuell in der >Kamera (Brückenstraße, Neuenheim) gezeigt. [/box]
Carey Mulligan macht ihre Sache gut und ist darüber hinaus eine wunderbare Identifikationsfigur für die ZuseherInnen die radikalen Frauen grundsätzlich skeptisch gegenüberstehen und mit Feminismus sowieso nicht viel anfangen können. Schritt für Schritt zeigt Gavron an ihrem Beispiel, was Frauen dazu bewegt, ihr herkömmliches Leben aufs Spiel zu setzen, für den langwierigen Kampf um die eigenen Rechte. Trotzdem wird oft nicht klar, was denn nun eigentlich in Maud Watts/Mulligans Kopf vorgeht, die mal entschlossener, mal verzweifelter in die Kamera schaut. Ein paar tiefere Einblicke in ihr Innenleben hätten nicht schaden können, so bleiben in erster Linie nur die emotionalen Höhe- bzw. Tiefpunkte in eindringlicher Erinnerung, wie etwa die tränenreiche Abschiedsszene von ihrem Kind.
Die Kamera ist in den chaotischen und bewegten Momenten allerdings immer nah dran an den Figuren und vermittelt so auch ein Gefühl von scheinbarer Nähe. Die anderen SchauspielerInnen sind ebenfalls authentisch und greifbar. Die verschiedenen Hinter- und Beweggründe der Frauen werden deutlich, ohne dass viel darüber geredet wird. Dass Meryl Streep nur zwei, drei Gastauftritte hat, ist zwar schade, wird aber von der Resthandlung des Films mühelos kompensiert.
Der Film ist kein cineastisches Meisterwerk, weder besonders innovativ noch raffiniert. Aber das muss er auch nicht sein. Auch wenn es hier und da an Fein- und Tiefschliff fehlen mag, ist es vor allem eine schnörkellose, direkte Verfilmung, die sich einem Geschichtskapitel widmet, das eigentlich in einem Atemzug mit dem Civil Rights Movement genannt werden sollte, aber allzu oft vernachlässigt wird. Wie wenig die meisten von uns über die Geschichte und Gegenwart des Frauenwahlrechts wissen, zeigen die Reaktionen auf den Abspann des Films. Da werden nämlich in chronologischer Reihenfolge die Länder, die das Frauenwahlrecht eingeführt haben, mit Jahreszahl aufgelistet. Mit 1971 Schlusslicht in Europa war die Schweiz – ungläubiges Raunen im Publikum. In Saudi Arabien wurde Frauen 2015 das Wahlrecht immerhin in Aussicht gestellt. Bleibt abzuwarten, ob und wann es tatsächlich eingeführt wird. Aber Filme wie dieser, die Bewusstsein schaffen, informieren und vielleicht auch etwas wütend auf die vielen Ungerechtigkeiten machen, können jedenfalls dazu beitragen.
von Dorina Marlen Heller