Das Footballdrama „Erschütternde Wahrheit“ will die Schattenseiten von Amerikas populärstem Sport zeigen. Wenn Schwergewichte Helm an Helm aufeinanderprallen, ist die Belastung für den menschlichen Körper enorm. Besonders gefährdet ist das Gehirn, wie Pathologe Bennet Omalu (Will Smith) herausfindet. Mit diesen neuen Erkenntnissen sucht Omalu die Öffentlichkeit, doch die National Football League (NFL) sieht ihr Geschäft in Gefahr. Unter filmischen Gesichtspunkten scheitert die Umsetzung des brisanten Themas an dem kleinen Detail, dass der Film eine wahre Geschichte erzählt.
Vor zwei Jahren erhoben 4500 ehemalige Footballspieler Klage gegen die NFL, da diese Beweise für die durch Kopfstöße verursachten Langzeitschäden am Hirn verschwiegen habe. 765 Millionen Dollar flossen als Entschädigungszahlungen. Das lang geleugnete Problem kam jedoch nur oberflächlich auf den Tisch, die NFL kaufte sich gewissermaßen frei. Sie übernahm keine Verantwortung für Verletzungen und musste nicht zugeben, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Sport und den Hirnschäden gibt. Den kleinen Makel eines heldenhaften Sports galt es klein zu halten. Eine Offenbarung leistet die filmische Umsetzung nicht. Erst der Epilog nennt die obigen Zahlen, ginge es nach der NFL, hätte man wohl noch ein paar Herzchen darum gemalt, damit die Show weitergehen kann.
„Erschütternde Wahrheit“ hält sich zweifellos eng an die Geschehnisse und überzeugt auch durch seine medizinische Gründlichkeit: Omalu entdeckt bei Untersuchungen der Gehirne zweier ehemaliger Footballspieler die chronisch traumatische Enzephalopathie (CTE), eine Hirnkrankheit, die seiner Meinung nach durch die Zusammenstöße auf dem Footballfeld hervorgerufen wird. Die Betroffenen hörten Stimmen, waren nicht mehr sie selbst, litten unter starken Depressionen. Als Ausweg sahen einige von ihnen nur den Selbstmord. Die NFL bestreitet einen Zusammenhang zum Sport vehement und wirft Omalu zahlreiche Steine in den Weg. Dieser ist sich hingegen sicher, dass der Weg an die Öffentlichkeit der richtige ist.
Der Film versteht sich als klassische David-gegen-Goliath-Geschichte und will den Weg zur Wahrheit zeigen. Bloß vergisst er die Rolle des Goliaths auszufüllen. Und das ist kein Zufall, denn wie in der Realität so ist es im Film. Ein bisschen Kritik ist erlaubt, der Schein des Sports muss jedoch gewahrt werden, um das Geschäft nicht zu gefährden. Bezeichnend ist es, dass die NFL im Dialog der Figuren permanent als mächtige Bedrohung dargestellt wird, im Film aber so dezent agiert, dass selbst eine bedrohliche Beschattungsaktion im Sande verläuft. Alle reden über die dunkle Macht, welche sich dagegen als graue Maus präsentiert.
Dies führt dazu, dass alles ein wenig zu lasch wirkt und die Spannungskurve flach bleibt. An Will Smith liegt es dabei nicht, der schauspielerisch überzeugt und einen glaubwürdigen, wenn auch teils etwas zu spirituellen Omalu darstellt. Ein wenig lieblos wirkt derweil die Liebesgeschichte mit der Zufallsbekanntschaft Prema (Gugu Mbatha-Raw), die als klassisches Hollywood-Element weder für die Handlung relevant ist, noch einen emotionalen Mehrwert liefert. Regisseur Peter Landesman ist gar kein großer Vorwurf zu machen: Die Geschichte erzählt er solide, sie hat einige starke Momente (insbesondere die historischen Football-Szenen überzeugen) und greift ein zweifelsohne wichtiges Thema auf.
Die übergestreiften Samthandschuhe und das damit einhergehende Fehlen eines wahren Antagonisten machen die Geschichte jedoch fad und rauben ihr die Spannung. Insgesamt bleibt die NFL zu anonym, dem Konflikt zwischen Gut und Böse fehlt es an starken Protagonisten, ebenso wie einer Bühne. Folglich ist auch der Höhepunkt des Kampfs um die Wahrheit wenig dramatisch: Omalu wird verboten, auf einer Tagung zu sprechen. Später darf er seine Ergebnisse präsentieren, es ist das höchste der Gefühle für den Zuschauer, der vermeintliche Sieg des Guten.
In der Schlussszene sieht Omalu, wie Jugendliche noch immer mit den Köpfen aneinander rasseln. Es ist gleichzeitig die Kapitulation des Films vor dem heiklen Thema. Und so weiß man nicht recht, was „Erschütternde Wahrheit“ sein möchte: Der Film wäre gerne eine aufwühlende Enthüllungsgeschichte und ein packender Thriller. Doch für ersteres ist er zu brav und schafft es nicht, die wahre Geschichte für die Leinwand aufzubereiten, für letzteres ist er zu leise und die Vorlage hier eher ein Hindernis. Am Ende bleibt eine Mogelpackung, die wenig Packendes an sich hat.
Von Jesper Klein