Charlotte Kerner hat die zweite deutschsprachige Biografie über Chinas „roten Helden“ Mao Zedong geschrieben. Im DAI stellt die Autorin ihr Buch und ihre Beweggründe vor.
Wieso sie über diesen Massenmörder, diesen Fanatiker und Frauenfeind ein Buch schreibe, wurde Charlotte Kerner von allen möglichen Seiten gefragt, als sie an ihrer Biografie über Mao Zedong arbeitete. Das hat die Autorin, die wohl viele vor allem für ihre Biografien einflussreicher Frauen kennen, aber nur noch in ihrem Buchprojekt bestärkt. Im DAI wird sie groß angekündigt, ihre Biografie über den Mann, der China im 20. Jahrhundert wohl wie kein zweiter seinen Stempel aufdrückte, sei „ihr vielleicht bestes Buch“, heißt es. Vor allem als ideologiefrei und nicht eurozentrisch wird es gepriesen, 2015 erschien es bei Beltz und Gelberg unter dem Titel „Rote Sonne, Roter Tiger – Rebell und Tyrann. Die Lebensgeschichte des Mao Zedong.“ Für sie verkörpert Mao, der ursprüngliche Bauernjunge, der mehr vom Leben und sein Land befreien wollte, „die Entwicklung Chinas mit allen Höhen und Tiefen“. In Ihrer Biografie legt sie den Fokus zu gleichen Teilen auf Maos Kindheit und Jugend wie auf sein späteres Leben und führt in biografischen Streiflichtern durch seine 83-jährige Lebensgeschichte. Dem liegt eine langjährige Faszination für China zugrunde, 1980 ging es für Charlotte Kerner als DAAD-Stipendiatin zum ersten Mal in das Land der Mitte, das sich damals, kurz nach Maos Tod 1976, in großer Aufbruchsstimmung befand. Eigentlich wollte sie ihre Dissertation über den Stadt-Land-Gegensatz schreiben und darüber, inwiefern China ein Modell für die dritte Welt sein kann. Das Projekt scheiterte aber ziemlich schnell an der Realität, die so anders war, als alles was Kerner zuvor über China gelesen und gedacht hatte. Trotzdem – „China hat mein Leben verändert“, so blickt die Autorin heute auf den Auslandausaufenthalt zurück. Über China geschrieben hat sie dann nämlich trotzdem, nur nicht wissenschaftlich, sondern Prosa, zusammen mit einer Sinologin. „Das Buch hat man mir aus den Händen gerissen, damals gab es ganz wenig Informationen über China, aber ein großes Interesse und so war das Buch ein ganz einfacher Einstieg ins Schreiben für mich“, resümiert sie heute.
Mao Zedong repräsentiert für sie die Einheit des Landes und seinen Nationalstolz, ein guter Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit dem so heterogenen und komplexen Land. Die meisten westlichen Leute verbinden wohl vor allem seine „rote Bibel“ mit Mao Zedong, ein kleines Büchlein mit Zitaten Maos als Vorsitzender der
Kommunistischen Partei. Mit einer Milliarde Exemplaren das weltweit auflagenstärkste Buch nach der christlichen Bibel. Während der Kulturrevolution war die „rote Bibel“ eine Art politischer Ausweis, den alle ständig mit sich herumtragen mussten. Wer das nicht tat, machte sich verdächtig. Und das konnte Job- und Gesichtsverlust, Gefängnis oder sogar Arbeitslager bedeuten. Die Mao-Zeit war in China vor allem ideologisch aufgeladen und auch wenn Mao entscheidende Verbesserungen etwa im Bildungs- und Gesundheitswesen brachte, ist sein Erbe kritisch zu beurteilen. Während des „großen Sprungs“ fuhr er China buchstäblich gegen die Wand. Damals führten Fehlentscheidungen, gefälschte Zahlen und Missernten zu einer der größten menschengemachten Katastrophen des Jahrhunderts. 45-60 Millionen Tote waren die bittere Konsequenz. Auch wenn Kerner die schwierigen, ambivalenten Seiten Maos anspricht, erklärt sie: „Irgendwo blieb er aber immer ein romantischer Rebell“. Auch deshalb wird ihrer Biografie, etwa von der Süddeutschen Zeitung, vorgeworfen, dass es an Einordnung fehle. Kerner halte mit ihrem Wissen zurück und sehe Mao zu positiv, heißt es da. Deng Xiaoping, ein marktorientierter Pragmatiker, der hauptverantwortlich für Chinas Wirtschaftsaufstieg nach Maos Tod war, sagte einmal, dass Mao zu 70 Prozent gut und zu 30 Prozent schlecht war. Diese 30 Prozent sind schon ein großes Eingeständnis für die Partei. Offene Kritik an Mao ist bis heute schwierig in China. Umso wichtiger, dass der Diskurs auch in anderen Ländern initiiert und eröffnet wird. Kerners Biografie ist ein Beitrag zur Diskussion, auch wenn ihr Mao, „der romantische Rebell“, in mancher Hinsicht auch eine verkürzte, verharmlosende Darstellung dieses Mannes sein mag.
Von Dorina Marlen Heller