Hans Magnus Enzensbergers jüngstes Buch ist ein Wirtschaftsroman, der auf nüchterne, direkte Art und mit subtilem Augenzwinkern einen Einblick in die undurchschaubaren Tiefen der Finanzwelt geben will.
Das DAI ist voll bis auf den letzten Platz – die Leute sind gekommen, um Hans Magnus Enzensberger dabei zuzuhören, wie er mit Manfred Osten, ehemaliger Diplomat und Generalsekretär der Humboldtstiftung, über das Geld, unser Wirtschaftssystem und deren mysteriöse Zusammenhänge spricht.
In seinem Roman „Immer das Geld!“ nimmt sich Enzensberger nämlich die in der Literatur so verbreitete „Geldscham“ vor, wie er es nennt. In vielen Romanen und auch Filmen würde man nie wirklich erfahren, wovon die ProtagonistInnen eigentlich leben oder ihre Miete bezahlen, „über Geld zu sprechen ist in unserer Gesellschaft nämlich noch immer ein Tabu“, meint der Schriftsteller. Hans Magnus Enzensberger ist allerdings nicht nur Autor, er ist auch Dichter, Übersetzer, Redakteur und Herausgeber. Diese berufliche Vielfalt erklärt vielleicht auch, wieso er solch ein ungewöhnlich praktisches und lebensnahes Thema für sein jüngstes Buch gewählt hat. In diesem von der Presse vielgelobten „kleinen Wirtschaftsroman“, der 2015 bei Suhrkamp erschien, geht es voranging um die Kinder der Familie Federmann und deren reiche Tante Fé. Die ist nämlich mit allen Wassern gewaschen, ihr kann keiner mehr etwas vormachen. Inflation, Erbschaften, lukrative Investitionen und Pleiten – alles hat sie schon gesehen, das meiste auch am eigenen Leib erfahren. Nun will sie dieses Wissen an ihre jungen Verwandten weitergeben, dafür lässt sie auch ihre Villa am Genfer See zurück und erteilt den Federmanns in München (finanz-)wirtschaftliche Nachhilfe. Fanny, Fabian und Felicitas verbringen ihre Nachmittage nun im Luxushotel und diskutieren mit ihrer alten Tante über Herkunft, Wert und Sinn des Geldes.
Ausweichende Antworten lässt sie nicht gelten, die Kinder müssen sich ganz genau mit den Fragen, die sie ihnen stellt, auseinandersetzen. Etwa: Woher kommt das Geld? Was denkt sich eine Zentralbank dabei, wenn sie Schulden druckt? Warum geht es nirgends ohne Schattenwirtschaft, ohne
Schwarzmarkt, Schwarzgeld, Schwarzarbeit? Ab und zu gibt es dann Exkursionen, „Anschauungsunterricht“ quasi, in eine Auktion, in den Spa oder in ein heruntergekommenes Kaff in Tschechien. Dabei bleibt es aber nicht bei einer einseitigen Belehrung, denn auch die jungen Federmanns haben ihre Ansichten, Meinungen und Erfahrungen, sodass unterhaltsame, kurzweilige Gespräche über die großen Themen der Wirtschaft entstehen. Schade, dass manche Szenarien nur angedacht werden, mit einem Nebensatz abgetan, anstatt konsequent weitergedacht zu werden. Natürlich müssen die Themen auch in ihrer Komplexität verkürzt dargestellt werden, alles andere würde den Rahmen sprengen, aber hier und da hätte eine etwas ausführlicherer Behandlung nicht geschadet. Etwa was genau es nun mit der mysteriösen BIZ, Bank für Internationale Zusammenarbeit, auf sich hat oder eine etwas kritischere Beleuchtung des Zusammenhangs von Luxus und allgemeinem Wohlstand. Die Kindersprache gelingt Enzensberger allerdings nur teilweise. Des Öfteren wirken die Gespräche in ihrem Tonfall gekünstelt und aufgesetzt, insbesondere wenn die jüngste Nichte, Fanny, am Wort ist. Das Buch wird von Franz Greno liebevoll in Szene gesetzt, mit zahlreichen Farbfotos, Zitaten und zusätzlichen Infos.
Im DAI klingt es so, als hätte Enzensberger viel von seinen eigenen Ansichten und Erfahrungen in Tante Fé hineingeschrieben. Er habe noch nie in eine Rentenversicherung eingezahlt und sein Kapitalismuswissen habe er vom Schwarzmarkt, erklärt Enzensberger. Seiner damaligen Tätigkeit als Schwarzhändler nach dem Krieg verdanke er überhaupt viel, dort habe er gelernt, dass man sich nicht immer an die Regeln halten muss und es oft auch gar nicht kann. Was ihn fasziniert, ist der religiöse Ursprung des Geldes. Es gibt „Geldpriester“, die „Geldschöpfung“ und Geldinstitutionen, an die man glauben muss, und auch wenn viele vielleicht nicht mehr an den Wert des Geldes glauben, tun sie zumindest so als ob, ansonsten würde das System zusammenbrechen. Was es aber wohl ohnehin irgendwann wird, denn wie es in dem Voltaire-Zitat, das Enzensbergers Roman vorausgestellt ist, heißt: „Papiergeld kehrt irgendwann zu seinem inneren Wert zurück – null.“ Ohne Zweifel, mit seinen 86 Jahren Lebenserfahrung ist Hans Magnus Enzensberger immer noch ein wacher, reger Beobachter dessen, was um ihn herum passiert. Er glaubt auch nicht an eine „Intrige“ des Wirtschaftssystems, denn es gäbe schließlich eine offene Berichterstattung – „die Dinge bleiben uns nicht verborgen“. Ob wir sie auch sehen und uns mit ihnen auseinandersetzen wollen, ist eine andere Frage. Als sanfter Einstieg ist der Streifzug mit Tante Fé durch die Welt des Geldes zu empfehlen. Zu bedauern ist allerdings, dass an diesem Abend im DAI das Gespräch zwischen Osten und Enzensberger nicht so recht ins Fließen kommt. Osten geht auf Enzensberger nur marginal ein, immer wieder zieht er Studien und Zahlen aus dem Ärmel, zu denen Enzensberger Stellung nehmen soll. So bleibt das Gespräch nur ein Abglanz von dem, was möglich gewesen wäre. Das Buch spricht aber für sich und ist eine gelungene, unterhaltsame und für alle Altersgruppen geeignete Auseinandersetzung mit dem dauerrelevanten und brisanten Thema Geld.
von Dorina Marlen Heller
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