Die Oper „Der fliegende Holländer“ von Richard Wagner feierte am Samstag Premiere im Theater und Orchester Heidelberg. Zwar ohne den eigentlichen fliegenden Holländer, aber mit einer guten Mischung aus Pazifismus und Erotik.
Richard Wagner galt als das größte Arschloch der Komponisten-Szene. Ein überzeugter Antisemit soll er gewesen sein, er wurde von Hitler verehrt, war selbstverliebter als Kanye West und seinem eigenen Schüler spannte er die Frau aus. Ein wahres Arschloch – und ein Genie.
Wer sich davon überzeugen möchte, braucht nur den ersten Tönen der Ouvertüre des „Fliegenden Holländers“ zu lauschen. Sie ist wie ein Sturm auf hoher See. Die Musik bäumt sich als gewaltige Welle vor dem Zuhörer auf, rauscht nieder und durchspült mit Gewalt das Trommelfell. Die Kraft dieser Musik lässt keine Gegenwehr zu. Wie ein Stück Treibholz in der Flut wird man mitgerissen.
„Der Fliegende Holländer“ – das ist die Sage von einem verfluchten Seemann, der auf den Weltmeeren mit seinem Geisterschiff segelt und dem es nicht vergönnt ist, zu sterben. Sein einziger Hoffnungsschimmer: alle sieben Jahre darf er an Land. Findet er eine Frau, die ihm die ewige Treue schwört, ist er erlöst. Eigentlich ziemlicher Seemannskitsch – wäre da nicht Richard Wagner, der aus der Story eine verdammt gute Oper machte.
Die Premiere im Theater und Orchester Heidelberg am Samstag war bemerkenswert. Ungewollt fand die Oper ohne den eigentlichen fliegenden Holländer statt. Der Hauptdarsteller James Homann war kurz vor der Premiere erkrankt – ein Albtraum für jede Opern-Produktion. Zwar fand sich ein Ersatz, aber da man in so kurzer Zeit kein Stück lernen kann, sang der neue Holländer Johannes Schwärsky nur auf der Seitenbühne mit Textbuch. Die Regisseurin Lydia Steier schlüpfte kurzerhand in das etwas zu große Kostüm des Holländers und spielte die Rolle stumm. Geschadet hat das der Inszenierung nicht.
Der Zuschauer erlebt kein Schiff in stürmischer See, sondern einen spießigen Klassenraum der amerikanischen Navy. Der berühmte Seemannschor besteht aus jungen Kadetten, die wie Pfadfinder in kurzen Hosen marschieren lernen. Im Hintergrund laufen Schwarz-Weiß-Aufnahmen von kämpfenden Marines im 2. Weltkrieg. Kurz drängt sich die Frage auf, ob hier mal wieder ein Klassiker durch zu viel modernen Ehrgeiz ruiniert wurde. Die Kadetten in ihren blauroten Retrouniformen mit blonden Perücken wirken auf den ersten Blick wie die „Umpa Lumpa“-Zwerge aus „Charly und die Schokoladenfabrik“ und nicht wie raue Seemänner im Nordmeer. Aber Regisseurin Lydia Steiner überspitzt gekonnt die Kriegsbegeisterung in Wagners Werken und spiegelt auch den amerikanischen Militärstolz. Selbst die Frauen – im Original Spinnerinnen – sitzen kriegsbegeistert in der Rüstungsfabrik und schrauben lustvoll Raketen zusammen. Beim berühmten Spinnerinnenlied wird durch den großartig choreographierten Frauenchor der Krieg endgültig zu einer erotischen Fiktion verzerrt.
Der Auftritt des fliegenden Holländers bietet das passende Extrem. Er hat im Gegensatz zu den Kadetten und Fabrikarbeiterinnen den grausamen Krieg erlebt, ist traumatisiert und leer. Geleitet von seinem Todeswunsch, trifft er auf die intelligente Senta. Als Tochter des Akademieleiters Daland (Wilfried Staber) will sie aus der monotonen Konformität ausbrechen und verliebt sich in ihn. Die Mannschaft des Holländers – Untote in verstaubten Wehrmachtsuniformen und Pickelhauben – verwandelt währenddessen das bunte Treiben der Navy-Akademie in eine Zombie-Orgie. Senta schwört trotz der Beschwichtigungen ihres Verlobten Erik (Pedro Velázquez Díaz) dem Holländer Treue „bis in den Tod“. Kitsch gehört zur Oper dazu.
Gespielt von der Sopranistin Johanni van Oostrum, wird Senta mit ihrer gewaltigen Stimme zum eigentlichen Hauptcharakter der Aufführung. Johannes Schwärsky hält von der Seitenbühne dagegen mit seinem ebenso beeindruckenden Bassbariton. Der gerade mal 34-jährige musikalische Leiter Elias Grandy dirigiert das Philharmonische Orchester Heidelberg durch den Sturm an diesem Abend. Wagners Meisterwerk wird auch in dieser Inszenierung zur musikalischen Naturgewalt. Ob er nun wirklich ein Arschloch war, bleibt egal.
von Frederik Seeler
Termine und Karten: www.theaterheidelberg.de/produktion/der-fliegende-hollaender