Es ist schon bemerkenswert, welchen Wandel der russische Pianist Arcadi Volodos durchlaufen hat: Einst für seine hochvirtuosen Bearbeitungen bekannt, widmet sich der 44-Jährige nun den leiseren Tönen. Am Mittwochabend spielte Volodos im Rahmen des Heidelberger Frühlings in der Stadthalle Brahms und Schubert. Und er zeigte, dass er kein großes Spektakel braucht, um zu überzeugen.
Die Paraphrase über Mozarts beliebtes Rondo „Alla Turca“ aus der Sonate A-Dur KV331 ist nur ein Beispiel für den Volodos vergangener Zeit. Spieltechnisch irgendwo zwischen höllisch schwer und praktisch unspielbar einzuordnen veranstaltet Volodos dort eine Effektschau sondergleichen in wahrhaft bizarrer Form: Die im Original hintereinander erklingenden Formteile schichtet Volodos munter und gnadenlos übereinander, gespickt mit allerlei technischen Finessen, wie rasenden Oktavgängen oder handverknotender Zweistimmigkeit in der rechten Hand.
Nun bot das Programm, das Volodos in der bei weitem nicht ausverkauften Stadthalle spielte, hierzu einen immensen Kontrast. Denn es erklangen Werke, nach deren Aufführung das Publikum nicht unbedingt mit stürmischem Applaus reagieren muss. Werke, die auch eine Aufforderung an das Publikum zum genauen Hinhören sind. So zum Beispiel Johannes Brahms Thema und Variationen in d-Moll op. 18, das Arrangement eines langsamen Satzes aus einem seiner Streichquartette, oder die acht Klavierstücke op. 76 mit ihrem kunstvollen und detailverliebten Satz – zusammen füllten sie den ersten Teil des Abends.
Zweifelsohne ist die Kraft, die Volodos’ Spiel innewohnt, an vielen Stellen deutlich erkennbar, ob schon bei der Präsentation des d-Moll Themas oder Kleinigkeiten, wie dem hämmernden Bassoktavgang bei der Variation des Themas. Doch setzt der Russe seine Kraft sehr dosiert und clever ein. Viel bewundernswerter erscheint hingegen, mit welcher Differenziertheit, mit welch feinen Nuancen der Pianist die Werke ausgestaltet. Dies beginnt bei einer fein abgestuften Dynamik und führt über vielfältige Anschlagshärten bis hin zu abwechslungsreichen Klangfarben.
Häufig sind es Kleinigkeiten, die bei genauem Hinhören eine faszinierende Wirkung haben und an denen die erstklassige Interpretation deutlich wird, wie beispielsweise die hingehauchten Phrasenenden des Staccato-Themas im zweiten Capriccio der acht Klavierstücke. Bemerkenswert zudem, wie subtil Volodos bei der ersten Variation die Arpeggien von der durchlaufenden Sechzehntelkette trennt und so große Transparenz erzeugt.
Auch der zweite Teil des Abends war frei vom ganz großen Spektakel: Mit Schuberts letzter Sonate in B-Dur erklang ein Werk, das lange Zeit im Schatten der für Pianisten auf den ersten Blick attraktiveren Beethoven-Sonaten stand. Erst spät wurde Schuberts Sonaten ein heute unbestrittener hoher Stellenwert zugeschrieben. Wie schon bei Brahms, ist es erstaunlich, mit welcher Durchsichtigkeit Volodos das Werk fließen lässt. Ein Fluss, der auch durch das zügig gewählte Tempo im ersten Satz entsteht.
Im zweiten, langsamen Satz sticht vor allem der weiche Anschlag hervor. In Kombination mit den zart getupften Oktaven zum Schluss ein weiteres Beispiel dafür, dass Volodos in leisen Tönen brillieren kann. Schlussendlich ist es kein Wunder, dass das Publikum nach der Coda des Schlusssatzes vollauf begeistert ist, Volodos mit tosendem Beifall dankt und ihn erst nach vier Zugaben aus dem Saal entlässt.
Und bei der dritten Zugabe gab es ihn schließlich doch, diesen einmaligen Moment jenes Virtuosen Volodos, der mit pianistischen Kunststückchen den Saal zum Toben bringen kann: Ernesto Lecuonas „Malagueña“ in einer auf Spektakel ausgelegten Bearbeitung, mit jenen Oktavgängen, Sprüngen und jenem aberwitzigen Tempo, durch das Volodos einst seine Berühmtheit erlangte. Der krönende Abschluss eines großartigen Abends.
von Jesper Klein