Wie spielt man Bachs Klaviermusik auf einem modernen Instrument? Natürlich ohne Pedal, meint eine Fraktion. David Fray hält dagegen nichts davon – der französische Pianist nutzte am Freitagabend in der Stadthalle alle Möglichkeiten des modernen Steinways. Per se verteufeln kann man das nicht, mögen muss man es jedoch ebenso wenig.
Bei der Frage, wie man Johann Sebastian Bachs Werke für Tasteninstrumente heutzutage aufführen soll, scheiden sich seit jeher die Geister. Grundlage dieser Diskussion ist die Tatsache, dass Bachs Klaviermusik keine solche nach unserem modernen Verständnis ist, sondern zu seinen Lebzeiten auf Cembalo, Clavichord oder der Orgel musiziert wurde. Und so ist auch bei der Sammlung des Wohltemperierten Klaviers, aus dem Fray die ersten acht Präludien und Fugen spielte, unklar, auf welchem Instrument sie nach Bach gespielt werden sollen.
Gegen die Verwendung der Orgel spricht vor allem die in der Regel mitteltönige Stimmung dieser Instrumente. Clavichord und Cembalo hingegen schienen dafür prädestiniert, die Vorteile der auf Andreas Werckmeister zurückgehenden, wohltemperierten Stimmung zu veranschaulichen. Nun waren die Abstände aller Töne zueinander gleich und auch entlegene Tonarten mit vielen Vorzeichen konnten – wie es Bach praktiziert – von den Komponisten musikalisch erforscht werden, ohne dass das Publikum wegen schrecklicher Klänge schreiend den Raum verlassen musste.
Schreiend den Raum verlassen muss man zwar nicht, wenn sich David Fray dem Wohltemperierten Klavier widmet, doch für Verfechter einer historisch informierten Aufführungspraxis ist sein lyrischer, pedalreicher Bach sicherlich keine Offenbarung. Fray praktiziert ein regelrechtes Pedal-Management und wartet mit einer Vielfalt an Fußbewegungen auf, welche die Vielfalt der Anschlagstechniken fast übersteigt. Von schwungvollem Nachtreten der Akzente bis hin zum Pedalisieren ganzer Fugenthemen.
Dies grundsätzlich als eine schlechte Interpretation zu verteufeln, wäre jedoch zu einfach. Zum einen ist David Fray wahrlich kein unbeschriebenes Blatt auf dem Gebiet Bach; er ist mehrfacher Preisträger des ECHO Klassik und momentan vielmehr einer der angesagtesten Bach-Interpreten überhaupt. Häufig wird er mit dem kanadischen Jahrhundertpianisten Glenn Gould verglichen, mit diesem hat er bis auf seine krumme Haltung auf dem Klavierstuhl – statt des obligatorischen Hockers – allerdings nichts gemeinsam.
Zum anderen ist es auch ein wenig unfair, weil dieser Ansatz keine neuartige Strömung ist, sondern schon vor mehr als hundert Jahren diskutiert wurde. Der italienische Komponist Ferruccio Busoni beispielsweise gab eine bemerkenswerte Edition von Bachs Wohltemperiertem Klavier heraus, in welcher er Bach für das moderne Klavier aufbereitet, genaue Angaben zum Pedalgebrauch, Erklärungen zum Vortrag und obendrein einige Übungsstudien integriert. Es handelt sich hierbei also vermeintlich mehr um eine Stilfrage als um eine Frage der Legitimation.
Und trotzdem sind es andere Dinge, die Frays Klavierabend zu einer eher durchwachsenen Veranstaltung machen: Wenn Fugenthemen teilweise fast lieblos hingeklatscht werden und die elegante Kontrapunktik in einem Meer aus Verwaschenem untergeht, geht viel vom Reiz der Musik verloren. Hinzu kommen die undefinierten und beliebig wirkenden Schlüsse, die noch im Pedal verklingen, während Fray mit seinem blütenweißen Tüchlein bereits Hände und Tasten putzt. Vermeintlich innovativ soll das Bach-Spiel des 34-Jährigen sein, in der Stadthalle wirkte es eher ein wenig nachlässig, gar lustlos. Am Ende geht es also doch weniger um die grundsätzliche Stilfrage, als um die individuelle Art der Darbietung.
Im zweiten Teil des Konzerts widmete sich Fray schließlich Beethovens Klaviersonaten und es war gewiss die bessere Hälfte des Konzerts. Die stürmische c-Moll Sonate Nr. 5 spielte Fray mit einem packenden Drive und gut ausbalancierter, aber trotzdem kontrastreicher Dynamik. Der langsame Satz passte gut zum weichen Spiel des Franzosen und bot einen Ruhepol zwischen den wilden Ecksätzen. In erster Linie fungierte die Sonate jedoch allein durch die Programmierung als Aufgalopp zur „Appassionata“ – einer der populärsten Klaviersonaten überhaupt.
Hier überzeugte Fray mit leicht gezügelten Tempi, die ausreichend Zeit zur musikalischen Ausgestaltung ließen. In den Bravourpassagen, wie der pompösen Coda des Schlusssatzes, überdrehte Fray nicht – verfiel nicht in eine bloße Effekt- und Virtuositätsschau. Im Schlusssatz spielt er beispielsweise die Tremoli in der linken Hand gestaltend aus, statt sich dem Rausch des musikalischen Perpetuum Mobile hinzugeben.
Dass es den dramatischen Stellen teils an Kantigkeit fehlte, ist zum einen Frays leicht verwaschenem Spiel geschuldet, zum anderen der dürftigen Akustik der Stadthalle zuzuschreiben. Die etwas zu scharfen Punktierungen im Schlusssatz fallen in dieselbe Kategorie und haben ihre Kernigkeit wohl auch auf dem Weg zum Publikum verloren. Am Ende bleibt ein durchschnittlicher Klavierabend, der einige Fragen aufwirft und viel Stoff zur Diskussion bietet.
von Jesper Klein