Hindunationalisten sorgen für einen weiteren Skandal an indischen Unis. Er betrifft auch das Heidelberger Südasieninstitut
[dropcap]A[/dropcap]nfang März warfen eine Reihe indischer Wissenschaftler Sheldon Pollock, dem vielleicht bekanntesten Sanskrit-Philologen, in einer Petition vor, er verachte die indische Zivilisation und sorgten so für einen neuen Skandal um Politik und Religion im indischen Bildungssystem.
Pollock ist Professor an der Columbia University in New York und außerdem Herausgeber einer Buchreihe der Harvard University Press, die historische indische Literatur in englischer Übersetzung verlegt. Laut den über hundert Erstunterzeichnern habe er jedoch zu zahlreichen Gelegenheiten bewiesen, dass er weder die jahrtausendealten indischen Texte, deren Übersetzung er verlegt, noch den indischen Nationalstaat respektiere. Sie forderte die Financiers der Buchreihe auf, Pollock seines Amtes als Herausgeber zu entheben und stattdessen einen Inder einzustellen, der sich zu den religiösen Vorstellungen bekenne, in deren Traditionen die sanskritische Sprache steht.
Pollock jedoch fand zahlreiche Verteidiger. Die überregionale – säkulare – Tageszeitung The Hindu etwa bezeichnete die Vorwürfe umgehend als intolerante, hindunationalistische Propaganda und argumentierte, nicht Pollock, sondern die Verfasser der Petition hätten ein problematisches Verständnis der indischen Geschichte.
Auch aus Heidelberg erhielt der Philologe Unterstützung. Die erste Version der Petition zitierte eine Rede, die Pollock vor mehreren Jahren am Heidelberger Südasien-institut gehalten hat. In dieser berief er sich angeblich auf kulturchauvinistische Aussagen von Max Weber und britischen Kolonialisten um die Wertlosigkeit indischer Wissensproduktion zu belegen. Eine prompte Stellungnahme des Heidelberger Instituts erklärte, die Vorwürfe verkehren die Aussage der Rede in ihr genaues Gegenteil. Die Ansprache wurde unter dem provokanten Titel „Wozu nützt südasiatisches Wissen?“ auch als Aufsatz publiziert. Tatsächlich erwähnt Pollock die fraglichen Zitate nur, um sie anschließend zu kritisieren und den Wert indigenen indischen Wissens zu betonen. Den Verweis auf die Rede entfernten die Verfasser der Petition einige Tage später, den Vorwurf jedoch ließen sie bestehen. Die Petition blieb folgenlos.
Pollock selbst kommentiert zwar, die Vorwürfe seien nicht nur eine schwachsinnige Interpretation seiner wissenschaftlichen Arbeit, sondern überschätzten auch deren Wichtigkeit. Dass die Petition mittlerweile von 18 000 Leuten unterschrieben wurde, deutet jedoch darauf hin, dass der Vorwurf des falschen Umgangs mit Religion nicht nur Experten des Sanskrit bewegen. Zudem gab es in den letzten Jahren in Indien eine Reihe von Fällen, in denen Hindunationalisten gegen Geisteswissenschaftler vorgingen.
Axel Michaels, der die Abteilung Kultur- und Religionsgeschichte am hiesigen Südasieninstut leitet, sagt esoterische und wissenschaftliche Herangehsnweisen stehen in Indien derzeit in einem ernst zu nehmenden Konflikt miteinander. Michaels glaubt, dass die Prominenz der hindunationalistischen Kritik indische Geisteswissenschaftler bereits in ihrer Arbeit einschränkt. Zwar gebe es an den großen, renommierten Universitäten des Landes starke Gegenstimmen. An vielen kleineren Bildungseinrichtungen, sagt Michaels jedoch, fehle diese Opposition.
Von Hannah Bley