Kürzlich lehnte Ronja von Rönne den Axel-Springer-Preis für junge Journalisten ab.
Eine Gelegenheit, sich ihren unlängst erschienenen Debütroman „Wir kommen“ anzuschauen.
Da sitzt eine und schreibt für ihren Therapeuten fast alles auf, was ihren Tagesablauf ausmacht. Nun, eigentlich ja nicht für den, denn der ist glücklich, fährt in Urlaub und stellt Fotos von seiner Familie in der Praxis auf. In Wahrheit macht Nora das ja für sich. Für sich, weil sie unter Panikattacken leidet, die sie immer in den Morgenstunden heimsuchen. Nora ist eine junge und erfolgreiche Frau. Unglücklich ist sie. Das ist von Anfang an klar. Und eine absurde Jugend hatte sie. Eine Jugend auf dem Land. Eine Jugend angefüllt mit allerhand obszönen Erinnerungen an jemanden, der nicht mehr ist und doch die ganze Zeit da ist. Präsent bei vielen Entscheidungen, die Nora trifft — ein unsichtbarer Geist, der ihre Gefühlswelt stark beeinflusst: Maja. Maja, von der auch der fantastische erste Absatz des Romans handelt und deren Todesanzeige per Post kommt. Nora akzeptiert den Tod der Jugendfreundin nicht und hält an deren Weiterleben fest.
In tagebuchhafter Weise erzählt also eine Ich-Erzählerin über sich und ihre Lebensumstände. Das sind Lebensumstände, in denen Nora eine Viererbeziehung führt. In dieser Konstellation wirken alle auf ihre Art mit sich selbst beschäftigt, dabei zutiefst unglücklich und unzufrieden. Und dann in Teilen wieder überschwänglich. Die Beteiligten fahren zu fünft ans Meer, eine Tochter der psychotischen zweiten Frau im Bunde dieser Lebensgemeinschaft fährt ebenfalls mit. Der Text lässt offen, wohin genau. Das steht dann im Gegensatz zu den teils recht umfänglichen Figurenbeschreibungen. In diesem Haus am Meer passieren allerhand Dinge, von denen man berechtigterweise ab und zu annehmen könnte, dass sich die Personen dem Menschenverstand nach eigentlich ganz anders verhalten sollten. Wenn dann Erwachsene ihre elektronischen Endgeräte zerstören, wirkt die Situation wie in einem verkappten Independent-Film. Einer der Männer ist daraufhin ärgerlich. Das Ganze wird aber verdrängt.
An allerhand Verdrängung mangelt es dem Text indes leitmotivisch nicht. Es wird verdrängt und verdrängt, und wird sich doch mal erinnert, nervt das mitunter, weil die Erinnerungen so teilnahmslos abgespult werden. So versucht Ronja von Rönne bisweilen, ihrem Text den „Faktor lässig“ einzuhauchen. Das scheitert leider an vielen Stellen. Die Passagen, in denen dies gelingt, sind aber ganz wundervoll kurzweilig.
Ronja von Rönne wurde 1992 in Berlin geboren, lebt heute in Berlin und Grassau am Chiemsee und ist seit letztem Jahr Redakteurin der Tageszeitung Die Welt. Popularität erlangte die junge Autorin, die Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus in Hildesheim studierte, durch ihren Blog „Sudelheft“. „Wir kommen“ knüpft natürlich stilistisch an die Erzählweise des Blogs an. Bezogen auf den Gesamttext hat der Roman etwas von einem Anakoluth, weil einzelne Passagen abbrechen und man in der Handlung schwimmt.
Schwimmen geht auch Nora — im Meer. Dabei möchte sie, dass ein Sturm kommt, um gerettet zu werden. Immer gerettet werden wollen, immer Aufmerksamkeit wollen. Das gehört zur Persönlichkeit der Ich-Erzählerin und ist augenscheinlich auch von einiger Relevanz in diesem Beziehungsviereck, in dem sie ständig ihre Position gegenüber der anderen Frau, aber auch den beiden anderen Männern definieren muss.
„Wir kommen“ bietet einiges an Zynismus, bisweilen viel Zynismus und einiges an Absurdität. Der Roman versteht es aber dennoch zu unterhalten. Er enthält so schöne Sätze wie: „Keiner lachte, weil der Witz alt und geschmacklos ist, und wir sind jung und geschmackvoll.“ Der Text wartet mit einigen Statements dieser Art auf, was nicht immer lustig sein soll und auch nicht immer lustig ist, aber eben von einem gewissen Anspruch zeugt. Dieser Anspruch, den Ronja von Rönne offensichtlich an die eigene Arbeit hat. Hoffentlich folgen bald weitere Texte der jungen Autorin, die, wie eingangs erwähnt, den Mut hat, Preise abzulehnen. In diesem Fall, weil sie sich inzwischen von dem Artikel über Feminismus distanziert, von dem im letzten Jahr so viele redeten und für den sie ausgezeichnet werden sollte.
Von Jamie Dau