Die SPD will die Promillegrenze für Radfahrende auf 1,1 Promille absenken. Momentan wird man erst bei einem Blutalkoholgehalt von 1,6 Promille straffällig. Könnte ein niedrigerer Grenzwert zu weniger Gefahren im Straßenverkehr führen?
Die Forderung ist alt und hat viele prominente Fürsprecher: Die erlaubte Promillegrenze für Fahrradfahrer soll von 1,6 Promille auf einen Wert von 1,1 Promille gesenkt werden. In bemerkenswerter Einigkeit sprechen sich Deutsche Verkehrswacht, der Verkehrssicherheitsrat, und sogar Deutschlands größte Fahrradlobbyorganisation, der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) für den neuen Promillewert aus. Seit April 2016 nun auch die Bundestagsfraktion der SPD. Die Zielrichtung ist klar: „Wer trinkt, sollte nicht aufs Fahrrad steigen“, so Fraktionsvize Sören Bartol. Die neue Promillegrenze soll für mehr Sicherheit im Straßenverkehr sorgen und die körperliche Unversehrtheit aller Verkehrsteilnehmenden schützen.
Wenn man sich aber den Schutzzweck einer solchen Promillegrenze genauer anschaut, kann man aus guten Gründen Zweifel daran bekommen, ob sie dem angestrebten Ziel nicht viel eher zuwiderläuft. Zunächst ist festzustellen, dass es beim Verbot von allzu alkoholisiertem Fahrradfahren primär um gesetzlich verordneten Selbstschutz geht. Anders als das Auto stellt das Fahrrad einen viel weniger gefährlichen Gegenstand dar, durch den Fahrfehler zum Todesrisiko werden können. Wer betrunken oder auch übermüdet am Steuer eines Autos zu langsam reagiert, tötet im schlimmsten Fall mehrere Menschen auf einmal. Wer dagegen betrunken vom Fahrrad fällt, gefährdet sich zunächst nur selbst, was kein Verbot darstellt. Grundsätzlich dürfen alle mit ihren Körpern anfangen, was sie möchten. Das Argument, dass die Person betrunken sei und deshalb gar nicht mehr wisse, was sie tue, vermag nicht zu überzeugen. Schließlich entscheidet man in der Regel völlig nüchtern, wohin man mit dem Fahrrad fährt, ob man dort Alkohol konsumiert und dass man danach auch wieder mit dem Fahrrad nach Hause fährt.
Die Folge wäre nicht die Entschärfung, sondern vielmehr die Verschärfung der Gefahren im Straßenverkehr
Natürlich kann es aber auch Situationen geben, in denen man andere Personen gefährdet oder in denen der Fahrfehler des alkoholisierten Fahrradfahrenden katastrophale Folgen für andere hat, beispielsweise bei einem Unfall mit einem Auto, in dem der Autofahrende keinerlei Schuld trägt. Deshalb ist klar: Wer so betrunken ist, dass kein sicheres Fahrradfahren mehr möglich ist, sollte dies auch nicht tun! So sieht es auch der Bundesgerichtshof und hat deshalb im Jahr 1990 entschieden, dass jemand, der mit 1,6 Promille noch Fahrrad fährt, nicht mehr fahrtüchtig sein kann und deshalb den Straftatbestand des § 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr) erfüllt. Grundlage dieses Werts war nicht das Bauchgefühl der Richter, ab wann man denn wohl zu viel getrunken habe, sondern eine Studie von 1984. In dieser wurde ermittelt, wann Verkehrsteilnehmer nicht mehr in der Lage sind, ihr Fahrzeug sicher zu führen.
So gut wie kein Autofahrer konnte sein Fahrzeug mit 1,0 Promille noch sicher steuern, während der gleiche Zustand der Fahruntüchtigkeit bei Fahrradfahrern erst bei 1,5 Promille auftrat. Zuzüglich des Sicherheitszuschlags von 0,1 ergibt das die heutigen absoluten Promillegrenzen im Auto- und Fahrradverkehr. Als im Rahmen der Diskussion um eine neue Promillegrenze für Fahrradfahrer eine neue Studie des Gesamtverbands der Versicherer (GdV) in Auftrag gegeben wurde, sind diese Werte bestätigt worden bzw. ergab die Studie sogar, dass einige Fahrradfahrer mit noch mehr als 1,6 Promille passabel Fahrrad fahren können. Die wissenschaftliche Faktenlage ist also klar: 1,6 Promille mit dem Fahrrad entspricht 1,1 Promille mit dem Auto.
Schon jetzt gilt außerdem auch für Fahrradfahrende: Wer mit mehr als 0,3 Promille auf Grund seiner Alkoholisierung einen Unfall verursacht oder den Verkehr gefährdet, macht sich strafbar. Nicht zu unterschätzen ist außerdem der Effekt, den eine niedrigere Promillegrenze für viele Radfahrende hätte.
Wer sich jetzt nach einigen Gläsern Bier und Wein aufs Fahrrad schwingt, wird sich dann vermutlich zweimal überlegen, doch das bequeme Auto zu nehmen, für das die gleiche Alkoholgrenze gilt. Die Folge wäre dann nicht die Entschärfung, sondern vielmehr die Verschärfung der Gefahren im Straßenverkehr.
Erik Tuchtfeld