Am Heidelberger Hauptbahnhof gibt es zu viele Fahrräder für zu wenig Platz. Das soll sich nun ändern.
Eines Tages kam ich von einem langen Wochenende zurück und mein Fahrrad war fort. Ich hatte es, wie immer, am Bahnhof stehen lassen. Es ist kein Fahrrad, das irgendjemand klauen möchte. Wahrscheinlich lohnt es sich nicht einmal als Ersatzteillager. Was also war geschehen?
Bei der Touristeninfo sagte man mir, es gebe einen Herrn von der Stadt, der „Falschparker“ wieder in Reih und Glied, die dafür vorgesehenen Fahrradständer, sortiere. Genau dort fand ich mein Rad. Ein Bekannter erzählte, er habe diesen Herrn schon öfters gesehen – laut fluchend sei er jeden Vormittag am Bahnhofsvorplatz beschäftigt. So traf ich Herrn Best: „Wie Dr. Best, nur ohne Titel. In normal.“ Als ich ihn bitte, mir etwas über die Fahrradsituation am Bahnhof zu berichten ruft er gleich: „Ich kann Ihnen gerne sagen wie die Situation ist: KATASTROPHAL!“ Eine Dame, die es sich auf dem Mäuerchen neben den Fahrradständern bequem gemacht hat, bestätigt: „Sie wissen ja gar nicht, wie viele Kilos der Mann täglich schleppt!“
Herr Best ist Kurpfälzer, 62 Jahre alt und, mit eigenen Worten, „der Trottel vom Dienst.“ Tatsächlich arbeitet er gar nicht für die Stadt, sondern ist Angestellter der Heidelberger Dienste: „Zu jung für die Rente, nicht fit für den ‚ersten‘ Arbeitsmarkt.“ Mindestlohn, Zeitvertrag. „Würde die Stadt mich direkt einstellen, bekäme ich das Doppelte.“ Seine Aufgabe sei es, zu kontrollieren, ob die Fahrräder „gerade“ stünden, die Wege frei seien, der Abstellplatz sauber. Ein großer Fan der städtischen Organisation ist er nicht: Was die nun genau mit „gerade“ meinten und wie er es nun anstellen solle, zwischen den 1000 verkeilten Rädern auch noch zu putzen, frage er sich schon länger. Am schlimmsten sei es am Wochenende, ein einziges Chaos.
Nun soll der Bahnhofsvorplatz erneuert werden. Die Stadt plant eine Art Fahrradparkhaus mit fünf Stockwerken, das die Situation entzerren soll. 900 Fahrräder sollen darin Platz finden, vier Millionen Euro sind eingeplant.
Herr Best hat davon aus der Rhein-Neckar-Zeitung erfahren. „Völliger Unsinn!“ ist sein Kommentar. Vor meinem inneren Auge sehe ich mich drei Minuten vor Abfahrt des Zuges diverse Parkhausstockwerke erklimmen. Tatsächlich eher unrealistisch. Doch Herr Best hat eine andere Vision. Wir stehen neben dem Fahrradständer am Burger King und schauen auf die Gleise. Eine Brücke! Über die gesamten Schienen – von hier bis in die Bahnstadt. Da könne dann jeder sein Fahrrad parken und sofort die Treppen zum Gleis hinuntersprinten. „Bin ja kein Architekt, aber ich glaube das wäre möglich. Auch billiger.“ Architektin bin ich auch nicht, habe aber beim Kostenpunkt meine Zweifel. Trotzdem eine schöne Idee. Gibt es auch kurzfristigere Lösungen? „Mehr Platz! Beet weg! Braucht eh kein Mensch.“
Gehetzten Reisenden macht Herr Best keinen Vorwurf: „Wer zum Zug muss, muss zum Zug!“ Da wird der zwei Zentimeter breite Streifen, der mit dem Hinweis „Bitte keine Fahrräder abstellen“ an der Touristeninfo klebt, auch schnell übersehen. Herr Best sagt: „Das ist so lustig, das muss man fotografieren!“ und hängt ein DIN-A4-Schild daneben.
Weiter geht’s. „Können Sie sich vorstellen, dass hier ein Fahrradanhänger mit Kindern durchpasst?“ Es wundere ihn, dass noch keine Unfälle passiert seien. „Und dann bin ich wieder der Sündenbock!“ Lebensbedrohliche Karambolagesituationen zwischen geparkten Fahrräder scheinen mir unwahrscheinlich – doof ist es trotzdem.
Am meisten für Herrn Best. „Ich zeig Ihnen mal was!“, sagt er oft und führt mich zu den besonders brenzligen Engpässen.
Nach einer Viertelstunde ist der Rundgang vorbei. Zurück an die Arbeit. Zu tun gibt es genug. Dabei ist heute ein eher ruhiger Vormittag. „Kommen Sie mal Freitag vorbei!“ Wird gemacht. Ich mache mich auf den Weg zu meinem Fahrrad. Es steht ein wenig abseits und parkt den Busfahrplan zu. Die Fahrradständer waren leider voll.
Von Anna Vollmer