„All Our Gods Have Abandoned Us“, das aktuelle Album der Band Architects, ist ein bretthartes Stück Metalcore aus vertrackten Rhythmen und extremem Screaming. Doch wie schafft es dieses Genre, eine enorme Anziehungskraft für viele Menschen zu entwickeln?
„We are beggars, we are so fucking weak“, brüllt Sam Carter, der Sänger von Architects, dem Hörer entgegen. Der erste Track „Nihilist“ läuft keine drei Sekunden, und schon dürfte die meisten Nicht-Metalfans der heftige Drang packen, das ohrenbetäubende Geschrei sofort wieder abzuschalten und das Album „All Our Gods Have Abandoned Us“ ohne Umschweife ganz tief in irgendeinem Giftschrank zu versenken. Bei Fans und geübten Hörern stellt sich hingegen schnell exzessives, rhythmisches Kopfnicken ein, während sich Nicht-Fans fragen, wie um alles in der Welt man diese Lärmexplosion musikalisch ansprechend finden könnte. Tatsächlich gibt „Nihilist“ die konsequente Marschroute für das gesamte Album vor, das primär aus bis zum Anschlag tiefgestimmten Gitarrenriffs, schnellen Doublebass-Attacken und langsamen, rhythmisch meist höchst vertrackten Teilen (im Fachjargon „Breakdowns“ genannt) besteht. Sänger Sam Carter geht stimmlich regelmäßig an seine Grenzen, sowohl mit schrillen Screams als auch mit (seltenerem) hohem Klargesang. Ruhige Momente finden sich nur vereinzelt, beispielsweise bei „Gone With The Wind“, „The Empty Hourglass“ oder dem epischen „Memento Mori“, wobei die letzten beiden dabei sogar auf elektronische Einsprengsel zurückgreifen. Dazwischen knallt es, und das nicht zu knapp.
Doch wie entsteht nun eine Faszination für diese Art von Musik? Zunächst einmal entfesselt sie eine enorme Energie – nicht nur durch reine Geschwindigkeit, sondern auch durch die langsameren Teile, denen das treibende Schlagzeug einen mächtigen Groove verleiht. Die Briten vermitteln permanent den Eindruck, mit maximalem Einsatz auch noch das letzte Quäntchen Druck und Energie aus sich herauszuholen. Keine Spur von glatt produzierter Distanziertheit, hier ist jede Menge Herzblut am Werk. Zudem gelingt es Architects – so verwunderlich das klingen mag – das Kunststück, trotz aller Härte nie Eingängigkeit und Melodie auf der Strecke zu lassen. Sogar Mitsing-Refrains sind keine Seltenheit, auch wenn selbst dann noch Sam Carters Stimme einen leichten Hang ins Verzerrte nicht ablegt. Zugegeben, Architects sind nicht die melodischsten Vertreter ihrer Zunft, und die Harmonien bewegen sich gerade im Fall der Leadgitarre auch häufig in progressiven Gefilden fernab von poppigem Powerchord-Geschrammel. Dennoch haben viele Lieder auf „All Our Gods Have Abandoned Us“ nach dem zweiten Hördurchgang einiges an Ohrwurm-Potenzial.
Und der Gesang? Nun, auch Nicht-Metalfans werden erst einmal zugeben müssen, dass mensch in mancher Lebenssituation den Wunsch verspürt, zu schreien. Will man solche Emotionen, also Wut, Verzweiflung, Aggression, in Gesang verpacken, bietet sich für größtmögliche Authentizität Screaming einfach an. Dabei bleibt es jedoch nicht, wenn diese Gesangsform zum elementaren Stilmerkmal wird. Nicht wenige Bands singen oft über das genaue Gegenteil – sie drücken Freude, Euphorie, Leidenschaft in einer Form aus, die dann extreme Gefühle aller Art abdecken kann. Gewöhnungsbedürftig ist Screaming mit Sicherheit, vielleicht mehr als andere Formen „ungewöhnlicher“ Musik. Doch die große Fangemeinde von Metal und Hardcore zeigt, dass dieser extreme Sound nicht zwangsläufig abschrecken muss. (Übrigens, technisch richtiges Screaming ist sehr anspruchsvoll, braucht viel Übung und macht die Stimme keineswegs kaputt – im Gegensatz zu landläufigen Klischees.) Im Fall von Architects ist Screaming einerseits selbstverständlicher Teil des eigenen Stils, andererseits gibt es auch gute inhaltliche Gründe, ihre Texte eben nicht „normal“ zu singen. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Bands zeigen sie eine klare, politische und sozialkritische Haltung. Auf ihrem aktuellen Album beschwören sie eine apokalyptisch anmutende Vision einer sich selbst zerstörenden westlichen Gesellschaft, und so kommen Zeilen wie „You’ve been feeding the wolf that’s waiting at the door / You are rotten to the core / We found your fingerprints all over the trigger / If you’re looking for tyrants, take a look in the mirror“ zustande. Eine Botschaft, die laut geschrien werden muss, will sie gehört werden.
Von Simon Koenigsdorff
[box type=“note“ ]Architects‘ aktuelles Album „All Our Gods Have Abandoned Us“ ist am 27. Mai bei Epitaph Records erschienen.[/box]