Reiches Heidelberger Kulturleben trifft aufwirtschaftliche Realität: Ein Blick auf Plakate, Finanzen und Pläne für die Zukunft.
Das gesellige Leben ist nicht die glänzende Seite Heidelbergs“, beschrieb Aloys Schreiber 1811 das Heidelberger Kulturleben. „Ein Theater fehlt und keine Schauspielergesellschaft darf hier Vorstellungen geben. Die Nähe von Mannheim ist zu anlockend“, lautet die Bilanz des damaligen Ästhetik-Professors der Ruperto Carola. Bis heute hat sich einiges geändert: Heidelberg avancierte zum Inbegriff literarischer Romantik, ist seit 2014 gar UNESCO City of Literature. Renommierte Festivals sind ebenso ein Teil der Kulturlandschaft wie die vielfältige Theaterszene.
Die Förderung von Kultur hat jedoch ihren Preis. Allgemein spiegelt sich der deutsche Föderalismus in der Kulturförderung wider, die sich auf regionaler Ebene ebenso wie auf Landes- und Bundesebene abspielt. Laut Kulturfinanzbericht gab die öffentliche Hand im Jahr 2014 etwa 9,4 Milliarden Euro für Kultur aus. Mit knapp 45 Prozent tragen die Städte und Gemeinden den größten Teil, 42 Prozent entfallen auf die Länder, den Rest zahlt der Bund. Die öffentliche Hand muss einspringen, da die Einnahmen der Institutionen die Kosten insgesamt nicht decken können. Unterstützung erhält sie dabei von privaten Förderern, im Jahr 2011 belief die Summe sich auf schätzungsweise 1,1 Milliarden Euro. Grundsätzlich ist die Rolle der privaten Förderung schwer einzuschätzen.
Das Statistische Bundesamt sieht in der Höhe der Finanzierung ein „Bekenntnis zum besonderen Stellenwert der Kultur in unserer Gesellschaft“. Ein Stellenwert, der sich unter anderem darin zeigt, dass Deutschland die höchste Theaterdichte der Welt aufweist. Er zeigt sich aber auch in der Höhe des Kulturkonsums. Im Durchschnitt wandten die Deutschen im Jahr 2013 knapp 22,5 Stunden in der Woche für kulturelle Aktivitäten auf.
Heidelberg gehört zu den mittelgroßen Städten Deutschlands mit den höchsten Kulturausgaben pro Kopf. Das Theater und Orchester Heidelberg erhält neben dem Kurzpfälzischen Museum die höchste Förderung durch die Stadt und nimmt daher eine Sonderstellung ein. Diese spiegelt sich auch in der Bürgerbefragung aus dem Jahr 2014 wider. Danach interessieren sich 53 Prozent der Heidelberger Bevölkerung vor allem für Theater und Schauspiel. Bühnenführend ist dabei das Stadttheater, das nach aufwendiger Sanierung im Jahr 2012 wiedereröffnet wurde. Die Gesamtkosten beliefen sich auf mehr als 52 Millionen Euro. Knapp ein Drittel wurde durch Spenden finanziert.
Die finanzielle Situation ist aktuell besorgniserregend
Nicht vergleichbar mit dem Zugpferd Stadttheater sind die Fördersummen mittelgroßer Einrichtungen. So gehört das Künstlerhaus HebelHalle mit dem UnterwegsTheater zur Gruppe der 40 institutionell geförderten freien Träger, die regelmäßig bezuschusst werden. Dies ist jedoch kein Garant für Sicherheit: „Die finanzielle Situation ist aktuell besorgniserregend“, sagt Geschäftsführer Bernhard Fauser. Die institutionelle Unterstützung der Stadt sei nicht ausreichend, um das Künstlerhaus mit seinem Jahresprogramm zu finanzieren. Aufgrund der finanziellen Knappheit verweigere überdies das Land die ergänzende Förderung. Auch das Taeter-Theater befindet sich finanziell in einer angespannten Situation, sodass nötige technische Investitionen nicht getätigt werden können. Seit 2001 erhält das Theater jährlich einen festen Betrag aus dem Fördertopf. „Was wir dringend benötigten, wäre eine finanzielle Angleichung an die deutlich gestiegenen Lebenserhaltungskosten“, sagt Wolfgang Graczol, künstlerischer Leiter des Theaters.
Neben regelmäßiger institutioneller Förderung unterstützt die Stadt auch einzelne Projekte, was insbesondere kleinen Vereinen entgegenkommt. Im Jahr 2015 gingen insgesamt 81 Anträge auf eine solche Förderung beim Kulturamt ein, von denen 57 stattgegeben wurden. In diesem Sommer erhält die Schauspielgruppe des Anglistischen Seminars für das Festival „Hot Shorts“ städtische Gelder. Die Theatergruppe „Vogelfrei“ des Germanistischen Seminars ist abgesichert, da die Stadt etwaige Verluste auffangen würde. Dies musste die Gruppe bisher nicht in Anspruch nehmen.
„Wenn einer Förderung nicht stattgegeben werden konnte, hatte dies entweder terminliche Gründe oder das Projekt entsprach nicht dem Rahmen des Förderprogramms“, berichtet Laura Rehme vom studentischen Kunstverein „Art van Demon“. In den meisten Fällen wurde ihren Anträgen jedoch stattgegeben.
Einen Antrag zu stellen, bringt jedoch auch bürokratische Hürden mit sich. „Vielleicht fehlt uns da einfach die Kapazität, neben allen anderen Aufgaben die Anträge zu sichten, auszufüllen und dabeizubleiben“, räumt Kai Sauter, Leiter des Theaters im Romanischen Keller, ein. „Ich glaube, viele wissen einfach nicht, dass es diese Fördermöglichkeiten gibt.“ Dabei stehen die Chancen gut. „Wenn jemand bei uns beim Kulturamt der Stadt Heidelberg einen Antrag auf Projektförderung stellen möchte, kann er oder sie sicher sein, dass er bei uns auf offene Ohren stößt”, betont Andrea Edel, Leiterin des Kulturamtes.
Viele wissen nicht, dass es Fördermöglichkeiten gibt
Das Theater im Romanischen Keller erhält zudem Förderung anderer Art: Der Landesverband Amateurtheater Baden-Württemberg bietet ihnen eine Versicherung, verschiedene Workshopangebote und einen GEMA-Rabatt. Darüber hinaus tritt das Theater auch selbst als Förderer auf, indem es studentischen Gruppen ermöglicht, gegen eine geringe Miete die Räumlichkeiten zu nutzen.
Eine finanzielle Bedrohung stellen für einige Kulturbetriebe die neuen Plakatierrichtlinien dar. Diese traten im Juli des vergangenen Jahres mit dem Ziel in Kraft, das Stadtbild aufzuräumen und dem wilden Plakatieren ein Ende zu setzen. Zu diesem Zweck wurden im gesamten Stadtgebiet Plakatrahmen installiert. Die Stadt sieht in den festgelegten 2400 Plakatflächen eine Förderung der kulturellen Vielfalt.
Dies steht im Widerspruch zu der massiven Kritik von Seiten Kulturschaffender: Infolge der Veranstaltungsreihe „Sommertheater“ im Jahr 2015 verzeichnete das Taeter-Theater Einnahmeverluste von 60 Prozent. Diese führt es auf die Einführung der Plakatierordnung zurück. „Wir halten das gesamte System für eine Verzerrung des freien Wettbewerbs“, sagt Bernhard Fauser vom UnterwegsTheater.
Für die bedrohten Einrichtungen sind die Auswirkungen der Plakateverordnung vielfältig. Erstens sei es nicht mehr möglich, stadtteilbezogen zu werben. Die Stadt hingegen verweist zum einen auf die Möglichkeit, in Geschäften oder öffentlich zugänglichen Gebäuden zu werben, will zum anderen aber auch zentrale Anschlagsflächen in den Stadtteilen installieren. Zweitens seien im Vergleich zu vorher 1000 Plakatstellen weggefallen. Hier entgegnet die Stadt, dass es vor der Neuregelung keine feste Anzahl an Plakaten gegeben habe. Drittens fallen zurzeit 80 Prozent der Kontingente auf große Kultureinrichtungen. Langfristig soll laut Stadt die Vergabe an festen Kontingenten reduziert werden, sodass mehr frei buchbare Plakatnetze zur Verfügung stehen.
Für kleine Theatergruppen hat die neue Verordnung hingegen wenig verändert. Kai Sauter vom Theater im Romanischen Keller sagt: „Für uns macht es eigentlich keinen Unterschied, weil öffentliche Plakatierung, abgesehen von den kostenlosen Kultursäulen, vorher schon zu teuer war.“ Vielmehr nutzt der Romanische Keller alternative Möglichkeiten der Werbung, wie Indoor-Plakatierung in Kneipen oder Werbung über Facebook. „Bei einem jungen Publikum funktioniert das sehr gut“, so Sauter. In der Debatte um die Plakateverordnung stehen sich also ein aufgeräumtes Stadtbild und die Sichtbarkeit des Heidelberger Kulturlebens gegenüber.
Für die Zukunft plant die Stadt, neue Kulturleitlinien zu definieren. Ausgangslage ist der Kulturbericht des Jahres 2006. Dabei soll die Heidelberger Bevölkerung miteinbezogen werden. Beim öffentlichen Kulturgespräch am 21. April diskutierten die Stadt, Kulturschaffende und Interessierte sowohl aktuelle Probleme als auch Zukunftsvisionen an verschiedenen Thementischen. Die Stadt hatte ein Diagramm vorbereitet, das Alleinstellungsmerkmale der Heidelberger Kultur in Form von drei Säulen darstellt. Diese sind Tanz, Literatur und Outsider Art, die Kunst von Laien. Gestützt werden die Säulen durch das Fundament des etablierten Kulturangebots.
Bei den Anwesenden stieß das Diagramm auf Kritik. Es wurde beanstandet, dass die Säulen ohne direkte Beteiligung der Bürger festgelegt worden waren. Andrea Edel begründet das Vorgehen: „Das ist unsere Handlungsweise in einer repräsentativen Demokratie. Die Mitglieder des Gemeinderats haben selbstverständlich das Recht, sich selbst Gedanken zu machen und sich in die Entwicklung der Kulturleitlinien einzubringen.“ Zudem sei das Diagramm „kein Endzustand, sondern eine Orientierungshilfe, die wir zu Beginn des Prozesses als Gesprächsgrundlage hineingegeben haben.“
Weiterhin kritisierten die Anwesenden, dass die Sparte Musik im Diagramm zu kurz komme. Andrea Edel entgegnet: „Wir müssten uns fragen, ob unser internationales Profil sich in den letzten Jahren und Monaten so stark etabliert hat, dass wir sagen können: Wir sind eine der führenden Städte der Welt im Bereich der Musik.“ Die Säulen sind somit als Alleinstellungsmerkmale Heidelbergs in der Welt zu verstehen.
Eine Bürgerbefragung aus dem Jahr 2014 hatte ergeben, dass kein besonders starkes Interesse an Tanz und Literatur besteht. 72 Prozent interessieren sich weniger stark oder gar nicht für Literaturveranstaltungen, bei Tanzaufführungen waren es 67 Prozent. „Die Aufgabe muss sein, die Alleinstellungsmerkmale stärker zu vermitteln“, betont Andrea Edel.
Desweiteren wurde beim Kulturgespräch kritisiert, dass es Heidelberg als UNESCO City of Literature an Sichtbarkeit fehle. Dies hatte schon die Befragung von 2014 gezeigt, nach der 75 Prozent nicht von der Bewerbung wussten. „Die City of Literature braucht eine Adresse!“, lautet eine Idee aus dem Plenum. Ein Literaturhaus könnte eine solche sein. In zwei Kulturwerkstätten im Juni und Oktober sollen nun die Leitlinien in Zusammenarbeit aller Beteiligten erarbeitet werden. Die Verabschiedung durch den Gemeinderat ist für den März des kommenden Jahres geplant.
Letztendlich geschieht jedoch all dies für das Publikum. Kulturfinanzierung, Plakate und Leitlinien haben schließlich das Ziel, den Genuss von Kultur zu ermöglichen. Dabei gibt es viele Menschen, denen aus finanziellen Gründen der Zugang verwehrt bleibt. Hier setzt das Kulturparkett an, das die bestehenden Hürden beseitigen möchte: Menschen mit kleinem Geldbeutel bietet ihr Kulturpass die Möglichkeit, kostenlos Veranstaltungen zu besuchen. „Viele hatten lange Zeit nicht die Möglichkeit, ins Theater oder Konzert zu gehen und erleben das nun als große Bereicherung“, so Annika Götz vom Kulturparkett. Kulturelle Förderung aus einer anderen Perspektive.
Von Anna Maria Stock und Jesper Klein