Über die Werke in der Zeughaus-Mensa, die von der Entdeckung der Kunst durch die Augen kongolesischer Kinder berichten.
Von manch einem Besucher bemerkt, von anderen übersehen, hängen die Werke von Kindern aus der kongolesischen Hauptstadt Brazzaville und dem Künstlerkollektiv Zeitwille schon seit Ende letzten Jahres in der Zeughaus-Mensa. Im Interview verriet uns der Gründer des Kollektivs, was hinter dem Projekt steckt.
Nach ein paar aktiven Jahren in Heidelberg entschied sich Zeitwille, die westliche Komfortzone zu verlassen, um neue Inspiration abseits der heimischen Kunstszene zu finden.
Mit einem Waisenhaus in Brazzaville hat Zeitwille Kids gefunden, die sich gedankenfrei und ungeformt der Malerei gewidmet haben. Was zunächst poetisch und vielleicht auch naiv klingen mag, ist eine Erkenntnis, die bereits Picasso und Joan Miró gewonnen haben: „Jedes Kind ist ein Künstler“. Der Surrealist Miró behauptet sogar, dass nur Kinder seine Traumbilder verstehen können. Der Aktionskünstler Joseph Beuys weitete diese These aus: „Jeder Mensch ist ein Künstler“.
Mit BrazzART führt Zeitwille die Kinder an Malerei-, Stencil- und Plastiktechniken heran, ohne sie mit bekannter Farb- oder Formlehre einzuschränken. „Am Anfang war es auch für uns selbst ein Lernprozess, zu verstehen, dass absolute freie Kunst nur dann möglich ist, wenn auch wir das erst einmal akzeptieren, was wir anfangs nicht verstehen“ berichtet uns Zeitwille in unserem Interview. „Man kombiniert in der Schul-Malerei eben nicht einfach mal neon-grün mit rosa und braun. Ich war selbst über jedes Ergebnis dieser Aktion überrascht. Die Stücke, die die Kinder erschaffen haben, wären mit der allgemein eingeschränkten Akademie-Malerei nie entstanden“. Es scheint, als würden diese Kids der Kunst näher kommen, als diejenigen, die versuchen sich der Kunst theoretisch oder akademisch zu nähern. „Intuitiv im Spiel bemalten die Kinder die Hauswände ihrer Unterkunft, traditionelle Masken und ihre Porträts“, berichtet Zeitwille weiter. „Dorion, eines der talentiertesten Kinder hat eine ganze Leinwand, zweimal so groß wie er, ganz locker mit seiner Kreativität gefüllt.“
Über das Entdecken und Experimentieren der freien Kunst hinaus, geht es bei BrazzART aber um mehr. Indem der ungefilterte Erlös der Werke an die kreativen Künstlerkinder geht, soll die Honigproduktion des Waisenhauses finanziell in den Griff gebracht werden. Außerdem soll ein allgemeiner Finanzierungstopf entstehen. Ein Konzept, das auch Oberbürgermeister Eckart Würzner unterstützt hat. Die Originale in der Mensa gehen ab 500 Euro los, Drucke können schon ab 100 Euro online unter www.brazzart.org erworben werden.
Als Kollektiv lehnt sich Zeitwille an die Definition des Architekten Mies van der Rohe an, der den Begriff „Zeitwille“ als Konsequenz des „Zeitgeistes“ sieht. „Zeitwille bedeutet, sich selbst als Individuum zurückzunehmen und die Zukunft vorzubereiten.“
Semantisch übernommen versteht sich das Kollektiv als zwischenmenschlichen Gedankenanstoß, das sich über den Katalysator „Kunst“ erstmalig 2010 einigen großen Sinnesfragen des Lebens gewidmet hat.
Damals waren es Abrisszettel, die „Liebe“, „Glück“ oder „Sinn“ zum Mitnehmen anboten. Aber was heißt das eigentlich, wenn man so ein Stück Zettel mit der immateriellen Sache „Liebe“ in den Fingern hält? Und was ist „Liebe“ eigentlich? „Wir wollen die Menschen zum Nachdenken anregen, wir leben in einem Gesellschaftssystem, in der die Grundbedürfnisse nicht mehr mit unserem Leben übereinstimmen.“
Aus einer Übersättigung löst sich Zeitwille vom „kollektiven Ego“ und bleibt daher auch zu 80 Prozent der Projekte anonym. In Heidelberg und Rom, wo sich derzeit ein Großteil aufhält, hat sich bereits eine kleine Unterstützergruppe aufgebaut, die einzelne Aktionen unterstützen. „Wir wollen zeigen, dass man auch mit den Mitteln der Kunst vieles in einer Gesellschaft zum Positiven beeinflussen kann.“
Von Annika Skibba