Shoppingmalls erfreuen sich in Pakistan großer Beliebtheit. Besonders für Frauen
entstehen in ihnen kleine Parallelwelten, die ihren eigenen Logiken folgen
Es ist 16:03 Uhr und pünktlich ertönt über dutzende Lautsprecher der Ruf zum Nachmittagsgebet. Das Plätschern des Wasserfalls und die Gespräche der Passanten scheinen plötzlich gedämpft, als der Gesang des Muezzins zwischen den Wänden des großen Atriums hallt.
An der Geschäftigkeit des Ortes ändert das jedoch wenig. Einige wenige Frauen ziehen sich in einer geübten Bewegung ihr Halstuch über den Kopf; eine anzugtragende Angestellte des Informationstresens hält sich in Ermangelung eines solchen ein DinA4 Blatt über den Kopf, während sie weiter in ihren Unterlagen schreibt. Die meisten Leute fahren fort mit ihren Besorgungen, Unterhaltungen, Ausflügen.
„Willkommen in der Dolmen Mall,“ verkünden von der Decke hängende Transparente. „Willkommen in der angenehm klimatisierten Welt des muslimischen Wohlstands,“ scheinen sie gleichzeitig zu sagen.
Die „Dolmen Mall“ ist das größte Einkaufszentrum Pakistans und liegt in Karatschi, der ebenfalls größten und wirtschaftsstärksten Stadt ganz im Süden des Landes. Seit seiner Eröffnung im Jahr 2011 befinden sich hier auf vier Etagen 162 Geschäfte, darunter auch multinationale Marken wie „Rolex“, „Mango“ oder die französische Supermarktkette „Hyperstar“.
Das Einkaufszentrum ist ein Teil Pakistans, von dem einige sagen, er sei nicht „authentisch“, nicht repräsentativ für dieses Land. Die meisten Leute in Karatschi jedoch sind stolz auf Orte wie diesen. Sie beklagen, dass dieser „Normalität“ niemand im Westen Beachtung schenke, dass sie zu Unrecht untergehe zwischen Nachrichten über Terroranschläge und Todesurteile.
„Die Bevölkerung lechzt danach, sich zu amüsieren“
„Wir haben eine Bevölkerung, die danach lechzt, sich zu amüsieren,“ sagt Faisal Nadeem, der leitende Geschäftsführer der Mall. Nachdem die Taliban vor einigen Jahren weitestgehend zurückgedrängt und die Sicherheitslage in der Stadt erheblich besser wurde, seien die Leute nur so aus den Häusern geströmt. Seitdem steigt der Umsatz stetig an und „der Markt ist noch lang nicht gesättigt,“ verkündet Nadeem begeistert im 17. Stock des Büroturms neben der Mall.
Ihren Erfolg verdanken Einkaufszentren nicht zuletzt der Tatsache, dass kein anderer, öffentlicher Ort in pakistanischen Großstädten so sicher ist. Dank strikter Sicherheitskontrollen am Eingang hat es bisher in keiner Mall einen Anschlag, eine Schießerei oder auch nur einen Raub gegeben. Doch nicht nur darin unterscheiden sie sich von anderen öffentlichen Plätzen.
Da es in ihrem Interesse liege, dass sich die Kunden möglichst lang bei ihnen aufhalten, erklärt der Geschäftsführer, versuche das Management alle auch nur möglichen Bedürfnisse zu befriedigen. So gibt es nicht nur eine Klimaanlage und jede Menge Reinigungspersonal, sondern auch eine Erste-Hilfe-
Station sowie Gebetsräume für Männer und Frauen. Im Parkhaus wurde sogar ein klimatisieter Warteraum mit Verpflegung für Chauffeure eingerichtet, damit reiche Kunden ohne schlechtes Gewissen mehrere Stunden in der Dolmen Mall verbringen können.
Der pakistanische Zensus besagt, dass nur 22% der weiblichen Bevölkerung werktätig sei, das heißt für ein Gehalt arbeite. Der Großteil der Frauen ist stattdessen für die Hausarbeit zuständig. Sie kochen, waschen, erziehen die Kinder – und kaufen ein.
Damit sind Frauen eine enorm wichtige Zielgruppe für Shoppingzentren. Nadeem schätzt, dass etwa 70% seines Umsatzes von Frauen gemacht wird. Entscheidungen über wichtige Anschaffungen trffe in einer Familie immer die Frau, sagt er. Während viele öffentliche Orte, wie etwa Straßenküchen unter freiem Himmel, also fast ausschließlich von Männern besucht werden, sieht man in der „Dolmen Mall“ viele Frauen. Wenn die Mall an Sonn- und Feiertagen sehr voll ist, wird Männern, die alleine kommen, manchmal sogar der Eintritt verwehrt. „Die hängen nur herum,“ erklärt der Geschäftsführer. „Das ist nicht das Publikum, das wir wollen.“
Eine weitere – etwas paradoxe – Folge: die Mall stellt gezielt Frauen als Verkäuferinnen ein. „Mit männlichen Verkäufern können sie ja über nicht viel mehr reden, als wo etwas steht,“ so Nadeem. Wenn sie von anderen Frauen beraten würde, fühlten sich die Kundinnen wohler.
Das Einkaufszentrum versucht daher, es Frauen so leicht wie möglich zu machen, bei ihnen zu arbeiten. „Dass es bei uns so sicher ist und wir ein gewisses Prestige besitzen, hilft den Frauen,“ sagt der Manager. Außerdem seien große Marken verlässlichere Arbeitgeber als lokale Geschäfte; und das Management eines Shoppingzentrums könne Dinge wie Sammeltaxis organisieren, die die Angestellten vom Haus zur Arbeitsstelle und wieder zurück bringen. Derzeit denke man sogar über eine Art internen Kindergarten nach.
„Von irgendwas muss ich schließlich leben!“
Die meisten weiblichen Angestellten, die zu einem kurzen Interview bereit sind, sagen, sie verdienten umgerechnet etwa 100€ im Monat. Das entspricht dem gesetzlichen Mindestlohn. Auf die Frage, warum sie arbeiten, hat außerdem jede eine klare Antwort: das Schulgeld der Kinder, steigende Lebenshaltungskosten. Von Selbstverwirklichung spricht keine.
Auch Farzana nicht, die die Damentoilette reinigt und sich nur mit ihrem Vornamen vorstellt. Ihr Mann sei krank und könne nicht arbeiten, sagt sie. Dass sie Toiletten putzt, habe sie niemandem in ihrer Familie gesagt. Die wisse nur, dass sie in der Mall arbeitet. „Sonst würden nur alle schlecht über mich reden“, sprudelt es aus ihr heraus, „aber von irgendwas muss ich schließlich leben!“
Die feministische Aktivistin Amna Chaudhry setzt sich dafür ein, dass Frauen in Karatschi aus dem Haus gehen können, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Es sei natürlich nicht so, dass pakistanische Frauen gar nicht in die Öffentlichkeit gehen könnten, sagt Chaudhry. Solange man einen guten Grund habe, werde das meist akzeptiert. „Aber wenn Frauen einfach nur so rausgehen wollen, dann wird daraus ein Problem gemacht.“ Oft müssten sich Frauen dann Warnungen über den Verlust von Anstand oder die Gefahren der Welt da draußen anhören.
Mit Freundinnen und einigen Freunden startete sie deshalb die Kampagne „Girls at Dhabas“. Angefangen hat diese mit einem Selfie in einer Teeküche am Straßenrand, einer sogenannte dhaba. Ihr Hashtag #girlsatdhaba rief für die Frauen überraschende riesige Reaktionen im Internet hervor. Daraufhin begannen sie bewusst über Frauen an öffentlichen Orten zu diskutieren und feministische Treffpunkte in verschiedenen Teeküchen zu organisieren. Obwohl den Aktivistinnen oft angekreidet wird, dass sie aus gutem Hause kommen, sagt Chaudhry: „Ein teures Café in der ‚Dolmen Mall‘ existiert, damit Frauen einer bestimmten Klasse dort konsumieren können.“ Das sei nicht das selbe, wie sich unbefangen in der Öffentlichkeit zu bewegen. „Ich denke nicht, dass Malls langfristig eine große Hilfe sind,“ erklärt sie. “Kapitalismus verfolgt seine eigenen Interessen, nicht die der Frauen.”
Vor dem breiten Betongebäude der Mall, unter den in ordentlichen Beeten gepflanzten Palmen, warten Besucher und Angestellte darauf, abgeholt zu werden. Es ist gute zehn Grad wärmer als drinnen und mittlerweile dunkel. Doch abgesehen von dem kleinen Stau, der sich vor dem Einkaufszentrum gebildet hat, ist dessen luxuriöse Ordentlichkeit auch hier noch perfekt. Zwischen den Wartenden wischt ein junger Mann in Uniform den Steinboden, unter freiem Himmel. Kann Kapitalimus vielleicht doch Wunder bewirken?
Von Hannah Bley