Zensieren oder diskriminieren: Sollte sexistische Werbung verboten werden?
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Pro:
„Sex sells“ – das scheint wohl das Hauptmotto der Werbeindustrie zu sein. In Fernsehspots, auf Plakatwänden und in Internetanzeigen räkeln sich Frauen in knappen Bikinis und durchtrainierte Männer präsentieren ihre Muskeln. Ob nun das Eis, die Urlaubsreise oder der teure Wodka, alles wird mit nackter Haut als Beilage verkauft. Was soll schon dabei sein? Ich denke, eine ganze Menge. Denn die heutige Werbung stellt Frauen vor die Fragen: Muss ich im Bikini so aussehen wie das perfekt retuschierte Modell auf der Reise-Webseite? Oder muss ich, wenn ich Karriere mache, gleichzeitig den Haushalt perfekt managen und dabei bitte auch immer so gut riechen wie die Frau aus der Deo-Werbung? Zugegeben, die Herren der Schöpfung haben es nicht leichter. Wenn es nach der Werbung geht, sollten sie immer perfekt gekleidet, durchsetzungsfähig und trainiert sein. In der bunten Welt der Werbung sind die Frauen schön und leicht zu haben und die Männer gutaussehend und erfolgreich. Die tägliche Konfrontation mit diesen Bildern verändert unser Körpergefühl und unser Selbstbild. Doch nicht nur das, sie verfestigt auch Rollenklischees: die Frau wahlweise als Objekt der Begierde oder perfekt organisierte Hausfrau und Mutter und der Mann als dominanter Liebhaber und entschlossener Entscheider. Natürlich sind diese Klischees nicht aus der Luft gegriffen, sondern erzeugen ein Spiegelbild der Rollenklischees, die die Werbefachleute in der Gesellschaft vorfinden. Doch es ist ein verzerrtes, überzeichnetes Spiegelbild, das dazu beiträgt, genau diese Klischees weiter zu verfestigen. Deshalb ist es an der Zeit, mit einer Änderung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb sexistische Werbung zu verbieten.
Von Esther Lehnardt
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Contra:
Sexismus verbieten. Klingt gut. Was genau Sexismus ist? Weiß doch – dem neuen Bildungsplan sei Dank – jedes Kind: unerwünschte Geschlechterrollen und Gewalthierarchien reifizierende Darstellungen. So weit, so gut. Aber wo fängt Sexismus an? Und wer entscheidet, ob etwas sexistisch ist? Gesetze leben von vagen Definitionen und noch vageren Interpretationen. Wenn Sexismus so transparent ist, dass ihn jeder ohnehin von weitem erkennt, warum ihn dann verbieten – und nicht in seiner ganzen Einfältigkeit abschrecken lassen? Wenn Werbung andererseits, wie so oft behauptet, ihre wahre Perfidität erst subliminal entfaltet, wenn Sexismus also so subtil ist, dass es die Expertise semiotisch hochqualifizierter Staatsdiener braucht, ihn zu erkennen, worin genau liegt dann seine Gefahr?
Das Kernproblem des Verbotsgedankens ist eine naive Vorstellung von Ursache und Wirkung – die Annahme, sexistische Werbung generiere Sexismus. Dabei macht sexistische Werbung ihre Durchschnittsbetrachter genauso wenig automatisch zu Sexisten wie rechtspopulistische Plakate Durchschnittswähler automatisch zu AfD-Anhängern machen. Wer seine Kaufentscheidung für Elektronikgeräte oder Grillwürste vom Grad der Barbusigkeit der (oder des) Werbenden abhängig macht, hat ein Problem, das viel grundsätzlicherer Natur ist, als dass es sich mit einem Werbeverbot beheben ließe. Sexistische Werbung unterbinden heißt, den Sexismus stärken, ihn unter den Teppich, aus den Medien heraus- und damit in die Gehirne hineinkehren. Als wahrer Sexist entpuppt sich dabei bloß der Staat selbst, der sich durch Ausübung von Zensurgewalt die eigenen Bürger im Modus ihrer Schutzbedürftigkeit hält.
Von Tim Sommer
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