Ein Start-up-Unternehmen aus Berlin ermöglicht Geflüchteten weltweit ein Studium ohne Gebühren und Papiere
[dropcap]S[/dropcap]tudieren bedeutet für Abiturienten vielleicht neben NC-Hindernissen und Studienfinanzierung etwas lästigen bürokratischen Aufwand.
Für einen in Deutschland neu angekommenen Geflüchteten ist ein Studium oder eine Studienweiterführung noch dazu mit viel (teilweise unnötigem) Zeitverlust verbunden.
Eine Hochschulzugangsberechtigung ist an deutschen Unis nötig und so markieren fehlende Dokumente, Anerkennung von Schulabschlüssen und Deutschkenntnisse bereits die erste große Hürde auf dem mühsamen Weg an die Universität. Zwar gibt es je nach Aufenthaltsstatus erleichterte Verfahren, jedoch nicht für Asylbewerber.
Kiron Open Higher Education, ein neues Studienkonzept aus Berlin, bietet Geflüchteten einen quasi unverzüglichen Einstieg ins Studium.
Durch möglichst unkomplizierten Zugang zu Studieninhalten soll die Übergangszeit im neuen Land nicht unnötig verfallen. In den ersten zwei Studienjahren werden englischsprachige Online-Kurse belegt, die von verschiedenen Universitäten wie Harvard oder Stanford bereitgestellt werden. Im dritten Studienjahr erfolgt idealerweise der Wechsel an eine der 18 Partneruniversitäten in unterschiedlichen Ländern. Diese erkennen die in den Online-Kursen erbrachte Leistung an und das Studium kann an der Partneruni abgeschlossen werden. Zu den deutschen Partnerunis zählen zum Beispiel die RWTH Aachen oder die Hochschule Heilbronn, aber auch Universitäten in Westafrika oder den USA sind dabei. Da sich das Projekt nur an Geflüchtete richtet, genügt für die Bewerbung zunächst nur ein Nachweis des Asylantrags.
In den ersten zwei Jahren an der Kiron bleibt Zeit, auf eine Entscheidung über den Aufenthaltsstatus zu warten, Sprachkenntnisse zu erwerben und die nötigen Dokumente für den Wechsel an die Partneruni zu sammeln.
Auch das Problem der Studienfinanzierung löst Kiron elegant: Studiengebühren fallen keine an. Die Online-Kurse sind frei zugänglich, lediglich Internetzugang ist nötig. Denn BAföG-berechtigt sind Flüchtlinge erst nach 15 Monaten und Asylbewerber gar nicht. Anfallende Kosten, zum Beispiel für Personal, werden unter anderem durch Stiftungen und Crowdfunding finanziert.
Gegründet im März 2015 von Vincent Zimmer und Markus Kressler, sind die ersten 1200 Studenten bereits eingeschrieben, auch wenn man an der Kiron zunächst nur die vier Fächer Business & Economics, Engineering, Computer Science und Social Science studieren kann.
Die Online-Kurse, auch Massive Opening Online Course (MOOCs) genannt, bieten neben Vorlesungen und Lernmaterialien auch Austausch-Plattformen für Studierende und Lehrende. Zudem sind sie weltweit zugänglich und unabhängig, ob aus dem Flüchtlingscamp in der Türkei oder dem Flüchtlingsheim in Deutschland.
Ob virtuelle Lernräume, sogenannte Study-Hubs, den direkten Austausch mit Kommilitonen, einen echten Campus ersetzen kann? Wohl kaum. Kiron richtet auch reale Study-Hubs ein, wo man abseits der Flüchtlingsumgebung ungestört nur Student sein kann. Auch in Heidelberg ist bereits ein Hub in Planung, sowie zehn Kiron-Bewerber.
Das Konzept klingt geradezu utopisch: einfacher, kostenloser Hochschulzugang für Geflüchtete. Allerdings ist das Projekt noch jung und wie sich die Studenten entwickeln, wie sich der Wechsel und Abschluss an den Partnerunis in Realität gestaltet, bleibt noch abzuwarten.
Funktioniert das Konzept, revolutioniert Kiron nicht nur den Hochschulzugang für Geflüchtete auf der ganzen Welt, sondern auch das Studium, wie wir es bisher gewohnt sind.
Während Studenten an herkömmlichen Universitäten ihre Vorlesungen unter Umständen mit mehreren hundert Kommilitonen absitzen, die Mittagspause in der Mensa verbringen und auch beim Unisport in Gesellschaft schwitzen, sind Kiron-Studenten zunächst auf sich selbst gestellt.
Ein authentisches Studentenleben kann Kiron also nicht bieten, aber für Interessierte in den vier angebotenen Fächern zumindest eine einfache Möglichkeit, die zähe Zeit des Wartens sinnvoll zu nutzen, sich abzulenken und weiterzuentwickeln.
Von Phuong-Ha Ngyuen