Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) im Gespräch über Exzellenz, Förderung für Studierende und das enge Korsett von Bologna
Frau Bauer, Sie sind nun schon zum zweiten Mal Ministerin für Wissenschaft. Wie sieht Ihre Vision für die Hochschulen in Baden-Württemberg für die nächsten fünf Jahre aus?
Theresia Bauer: Wir haben eine sehr starke Hochschullandschaft und ich werde gemeinsam mit den Hochschulen weiter daran arbeiten, dass unsere vielfältige, innovative und facettenreiche Hochschullandschaft weiter wächst und für die unterschiedlichen Bedürfnisse und Ansprüche, die wir in unserer Gesellschaft haben, hervorragende Angebote bereitstellt.
Im Koalitionsvertrag heißt es „Wir unterstützen unsere Universitäten mit ihrer besonderen Forschungsstärke, auch um in einer neuen Runde der Exzellenzinitiative erfolgreich zu sein“. Sehen Sie die Gefahr, dass die Landesregierung die kleineren Hochschulen und Universitäten im Land aus den Augen verliert?
Bestimmt nicht. Die Exzellenzinitiative ist nicht das einzige Instrument. Wäre es so, könnte ich die Frage nachvollziehen. Es ist eine Strategie, die universitäre Spitzenforschung besser aufstellen und sie im internationalen Kontext besser sichtbar machen soll. Das gilt auch für den Vergleich mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Das ist, glaube ich, bitter nötig. Aber darüber hinaus gibt es ja weitere Programme, und zwar gerade für kleinere Hochschulen, die ich mit Nachdruck unterstütze. Nur in der Verbindung dieser Förderprogramme entsteht gute Hochschulpolitik.
Liegt Ihnen, die Sie ihren Wahlkreis in Heidelberg haben, die Uni hier bei der Bewerbung für die Exzellenzinitiative besonders am Herzen?
Das ist, als wenn man eine Mutter nach ihren verschiedenen Kindern fragt: Man hat sie alle lieb, obwohl sie unterschiedlich sind.
Wir bleiben beim Thema Förderung: Sie haben gerade einen Fonds für erfolgreiches Studieren aufgelegt. Was soll konkret besser werden?
Es geht darum, die Hochschulen in der Studieneingangsphase darin zu unterstützen, mit den unterschiedlichen Voraussetzungen, Interessen und Schwierigkeiten der Studierenden umzugehen. Die Details sind nicht vorgegeben. Wir wollen die Hochschulen, die neue Beratungsangebote, Unterstützungskurse und Studienmodelle mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten anbieten wollen, in die Lage versetzen, das auch umzusetzen. Da hat eine PH einen anderen Bedarf als eine technisch ausgerichtete Uni.
Wenn Sie „mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ sagen, bedeutet das dann auch, dass man über die Regelstudienzeit hinaus studieren kann, wenn man Anlaufschwierigkeiten hat?
Genau. Tatsächlich haben wir Projekte in der Förderung, die davon ausgehen, dass es möglich sein muss, beispielsweise für Mathematik oder andere Vorkenntnisse auch mal ein Semester länger zu studieren, ohne dass daraus Nachteile erwachsen. Es gibt aber auch Situationen, in denen schlicht die Lebenssituation es erfordert, ein anderes Tempo zu fahren, etwa wenn Angehörige gepflegt werden müssen oder wenn man Verantwortung für ein Kind trägt.
Das klingt nach einem sehr breiten Bildungsideal. Hat das in einem Bachelor-Master-System überhaupt noch Platz?
Das muss unbedingt Platz haben. Was ist denn ein Studium anderes, als die Erfahrung, dass unsere Welt voller ungelöster Probleme und offener Fragen ist, die angegangen werden müssen? Egal wie der Abschluss heißt: Diese Erfahrung macht den großen Unterschied zur Schule aus.
Aktuell schaffen es nur 40 Prozent der Studierenden, die Regelstudienzeit einzuhalten. Das sind alarmierende Zahlen. Was glauben Sie, woran das liegt?
Ich bin gar nicht so alarmiert darüber. Wenn wir andererseits feststellen, dass seit gut zehn Jahren die Studienzeiten insgesamt rückläufig sind, würde ich sagen, in der Frage kann man ein bisschen lockerer sein. Das Studium ist kein Wettlauf darum, wer als Erster im Ziel ist.
Das Studium ist keine Oberstufe. Es muss Freiräume geben
Es geht an dieser Stelle aber nicht nur um Leistung, sondern oft auch um die Finanzierung. Denn an die Regelstudienzeit ist das BAföG geknüpft und wenn 60 Prozent der Studierenden ihr Studium nicht in dieser Zeit abschließen können, bekommen einige Schwierigkeiten.
Ein Studium muss machbar sein. Wenn wir die Rückmeldung erhalten, dass es das nicht ist, dann müssen wir das angehen. Es ist der Sinn von Bologna, die Studiengänge so zu konzipieren, dass man sie in der vorgegebenen Zeit absolvieren kann.
Deshalb gibt es einen Qualitätssicherungsprozess dafür. Zweifellos wird noch einiges zu optimieren sein, aber vieles muss sich einfach auch erst noch etwas einspielen. Gleichwohl teile ich vieles von der Kritik am engen Korsett. Schließlich ist das Studium keine Oberstufe und es muss auch Freiräume und Wahlmöglichkeiten geben.
Wäre es eine Möglichkeit, das Problem anzugehen, indem man die Regelstudienzeiten hochsetzt, um das BAföG entsprechend länger zu gewähren?
Das würde ich gerade nicht machen. Ich glaube, wenn man die Regelstudienzeiten einfach erhöht, lösen wir damit nicht das Grundproblem.
Das besteht darin, dass das Bedürfnis der Hochschulen, Wissen in den Lehrplänen zu verankern, unendlich groß ist. Hätten wir eine höhere Regelstudienzeit, würde die Stofffülle im Verhältnis wieder genauso umfangreich.
Sie haben sich im Landtag für ein allgemeinpolitisches Mandat der Verfassten Studierendenschaft (VS) stark gemacht. Im Koalitionsvertrag findet sich nun ein rein hochschulpolitisches Mandat. Sind Sie enttäuscht über dieses Ergebnis?
Ich lese den Koalitionsvertrag da ganz anders. Ich habe mich immer für ein starkes Mandat eingesetzt. So steht es auch im Hochschulgesetz. Das Mandat ist ein starkes, hochschulpolitisches Mandat.
Die Verantwortung der Studierendenvertretung umfasst auch eine Verantwortung für politische Bildung und für das Bewusstsein, dass man als verantwortlicher Mensch nicht nur bis zur eigenen Nasenspitze denkt. Wir haben im Landeshochschulgesetz an diesem Punkt keine Veränderung vereinbart, sondern nur eine erläuternde Präzisierung. Es scheint ja in der Tat unklar zu sein, was damit genau gemeint ist. Nicht gemeint ist zum Beispiel, dass man mit Einnahmen aus der VS Wahlkampf für eine Hochschulgruppe macht oder einen Bus zu einer Demo finanziert.
Eine höhere Regelstudienzeit löst nicht das Grundproblem
Im Koalitionsvertrag findet sich zur VS der Satz: „Um mehr Rechtssicherheit zu gewährleisten, werden wir seine Anwendungsbereiche gegenüber den Betroffenen präzisieren.“ Das klingt etwas kryptisch. Soll das eine Anspielung auf die Streitigkeiten um die Heidelberger VS sein?
Nicht nur. Wir haben Interpretationsschwierigkeiten an verschiedenen Standorten erlebt. Wir werden die Studierendenvertretungen einladen. Es geht mir darum zu zeigen, dass die Akzeptanz der VS von einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Mandat abhängt. Wenn man das besondere Privileg hat, Pflichtbeiträge von allen einzuziehen, dann kann man nicht damit machen, was man will. Man muss Rechenschaft ablegen und man muss sich darüber im Klaren sein, dass es eine Vielfalt unterschiedlicher Meinungen gibt.
Sie hatten gegenüber dem ruprecht Anfang 2015 gesagt, dass die QSM-Umverteilung für Verbesserung auch in den Fächern sorgen würde. Allerdings gab es, als diese Umverteilung konkret wurde, die Befürchtung, dass Stellen wegfallen und dadurch auch Tutorien oder Bibliotheksöffnungszeiten. War Ihre Aussage von damals also zu optimistisch?
Sagen wir mal so: Es kommt immer darauf an, was man daraus macht. Wir haben die Freiräume und die Planungssicherheit erhöht, indem wir die Mittel in die Grundfinanzierung umgeschichtet haben. Wir haben den Hochschulen damit die Möglichkeit gegeben, mehr Mittel strategisch einzusetzen, also zum Beispiel auch für Dauerstellen, wo man früher nur befristete Stellen schaffen konnte. Welche Schwerpunkte die Universität am Ende setzt, ist aber ganz klar ihre eigene Entscheidung.
In Heidelberg war klar, dass die Universiät dieses umverteilte Geld für ein recht deutliches Haushaltsloch im Bereich Gebäude und Energie aufwenden würde. War das an anderen Standorten in Baden-Württemberg auch absehbar?
Es gibt überall andere Herausforderungen, zum Beispiel bei der Ertüchtigung der Infrastruktur oder der Ausstattung der Bibliotheken. Deshalb wurden an den Hochschulen auch unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt.
Sie haben selbst in Heidelberg studiert. Welche Veränderungen wünschen Sie sich hier an der Universität?
Ich finde, es hat sich viel nach vorne bewegt. Ich glaube, dass Heidelberg mit einer so begünstigten Lage und einer so begnadeten Verwobenheit von Stadt und Universität aus dieser Wissenschaftsstadt noch mehr machen könnte. Das geht bis in die Frage hinein: „Wie ist die Aufenthaltsqualität im Neuenheimer Feld?“. Ich würde mir wünschen, dass beim Betreten dieses einzigartigen Campus die Experimentierfreude und die Begeisterung, Innovatives auf den Weg zu bringen, noch stärker sichtbar wird.
Das Gespräch führten Esther Lehnardt, Simon Koenigsdorff und Livia von Oldershausen.
Ein Gespräch mit Parteiratsmitglied Jörg Rupp (erweiterter Vorstand) von Bündnis90/Die Grünen Baden-Württemberg zum Thema Studiengebühren findet ihr hier.