Ob Kunststoff oder Holz – bei Lacrosse trifft Tradition auf Moderne. Hanni und Nannis Lieblingssportart wird auch in Heidelberg erfolgreich gespielt
[dropcap]R[/dropcap]egen. Durch das Gitter meiner Schutzbrille starre ich auf den matschigen Rasen. Vor mir öffnet sich eine enge Gasse aus bunten Stangen und geflochtenen Ledernetzen. Genau dort soll ich durchsprinten und den kleinen, gelben Hartgummiball schützen, der nur darauf wartet, herunterzufallen. Er liegt in einem taschenartigen Netz, das am Ende meines Schlägers befestigt ist und ihn aussehen lässt wie einen großen Löffel. Mit schwungvollen Bewegungen nach rechts und links wiege ich den Schläger im Lauf vor meinem Gesicht hin und her – oder versuche es zumindest.
Das so genannte Cradling, die Grundbewegung beim Lacrosse, gelingt noch nicht so recht. „Wenn du regelmäßig zum Training kommst, wirst du nach ein paar Monaten Fortschritte sehen“, sagt Julia, die schon zehn Jahre Lacrosse spielt. „Und die Kondition kommt von ganz allein“.
Dreimal die Woche trainieren die Damen der TSG 78 Heidelberg, samstags oder sonntags kommen teilweise noch Wettkämpfe hinzu. Dafür spielt die Mannschaft auch in der ersten Liga Süd, wurde schon Dritter bei den Deutschen Meisterschaften. Egal ob Schülerin oder Studentin, die Altersspanne reicht von 16 bis 36 Jahren, einige kommen extra aus Mannheim zum Training. „Man ist wie eine kleine Gemeinschaft und trifft sich bei den Spielen immer wieder“, sagt Bea.
Auch wenn Lacrosse immer beliebter wird, gilt es in Deutschland immer noch als Randsportart; große Teams gibt es vorwiegend in Universitätsstädte. Was als Internatssport vor allem durch Hanni und Nanni bekannt wurde, begann eigentlich bei den Ureinwohnern Nordamerikas: sie erfanden das Spiel als Übung zur Kriegsvorbereitung. Französische Jesuiten gaben ihm schließlich seinen Namen „La crosse“, französisch für Bischofsstab, weil sie die gekrümmte Form des Schlägers an den Pastoralstab erinnerte. Im 19. Jahrhundert gelangte das Spiel über Kanada in die USA, nach England, Neuseeland und Australien. Nonnen in Schottland führten Lacrosse schließlich als Spiel für ihre Internatsschülerinnen ein.
Das Equipment sieht zwar heute moderner aus, gespielt wird aber immer noch bei jedem Wetter, ob Regen oder Schnee; im Winter aber meist in der Halle. Auch wir hechten im Nieselregen über den Platz. Beim Passen und Fangen bin ich froh über meine futuris-tische Schutzbrille. Durch das Gitter des sogenannten Goggle zu blicken, ist zwar gewöhnungsbedürftig, schützt aber vor dem Ball und den Schlägern der anderen. Zudem tragen die Spielerinnen einen Mundschutz, die Männer gar Helme. „Gebrochene Nasen gibt es schon mal“, sagt Gwen auf meine besorgte Nachfrage. „Aber das Risiko ist nicht höher als bei anderen Ballsportarten“.
Der kleine Hartgummiball macht das Spiel außerdem schnell und spannend. Zwölf Tore und mehr pro Partie sind nicht ungewöhnlich, Torschüsse werden mit 80 bis 90 km/h abgefeuert. Insgesamt dauert das Spiel 2×30 Minuten und ist besonders bei den Frauen einigen Regeln unterworfen. Teilweise stammen sie noch aus der Zeit des Internatssports und sollen vor allem die Spielerinnen schützen. „Man darf sich davon nicht aus der Ruhe bringen lassen, auch wenn die Regeln am Anfang etwas verwirrend sind“, sagt Teresa. Trotz seiner Ursprünge hat Lacrosse das Image eines Internatssports lange abgeschüttelt – hier kann sich jeder wie Hanni und Nanni fühlen.
Die Lacrosse-Teams der TSG 78 Heidelberg trainieren montags, dienstags und donnerstags von 19 bis 21 Uhr auf den Plätzen der TSG an der Tiergartenstraße 9. Anfänger sind jederzeit willkommen.
[box type=“shadow“ ]Das Spiel
Mit Schlägern aus Holz oder Synthetik, die ein taschenförmiges Netz am oberen Ende haben, wird ein gelber Hartgummiball gepasst und gefangen; die Hände dürfen den Ball dabei nicht berühren. Zwei Teams mit 12 Spielerinnen kämpfen auf einem 45×102 Meter großen Spielfeld gegeneinander. Ziel ist es, durch Würfe auf das gegenerische Tor Punkte zu erzielen. Nach Deutschland kam Lacrosse erst in den Neunzigerjahren durch Austauschschüler. Mittlerweile gibt es vier Damen-, drei Herren- und zwei Jugendligen.[/box]
Von Laura Heyer