Fernweh kommt hier nicht auf: Das italienische Leben in Heidelberg floriert. Eine Erkundungsreise
Vor einiger Zeit besuchte ich einen Abend zu Ehren des italienischen Sängers Fabrizio de André. Hierzulande ein eher unbekannter Name, in Italien eine Art Legende, dessen Lieder jeder Fünfjährige mitsingen kann. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt, Deutsch hörte man kaum. Als eine Mitarbeiterin des Kulturvereins „Volare“ fragte, ob es hier denn irgendjemanden gebe, der kein Italienisch verstehe, rief es aus dem Publikum: „Derjenige wird sich nicht melden, wenn du Italienisch sprichst!“
Ich fragte mich: Wer sind all diese Zuschauer? Auf, auf, das italienische Leben ein wenig zu erkunden. Es stellt sich heraus: es gibt viele Italiener in Heidelberg, sehr viele. So viele, dass „es sich gar nicht richtig anfühlt wie Ausland. Wenn ich Italienisch sprechen möchte, dann finde ich jemanden, mit dem ich das tun kann“, erzählt Elisa Manca, Dozentin am Romanischen Seminar und Mitarbeiterin des Italienzentrums. Das Italienzentrum Heidelberg unter dem Vorsitz Edgar Radtkes, Professor für Sprachwissenschaft, organisiert regelmäßig Veranstaltungen mit Italienbezug. Ungefähr alle zwei Wochen lädt Luisa Orsaria, die Hauptorganisatorin, italienische Gäste ein, Professoren und Schriftsteller etwa, die von ihrer Arbeit berichten oder Lesungen abhalten. „Wir überlegen natürlich immer: Was könnte Studenten interessieren?“, erklärt Manca. So gibt die Schriftstellerin Bianca Barattelli Tipps zum besseren Schreiben, doch auch weniger Akademisches steht auf dem Programm. Ein Workshop in italienischer Gestik mit dem Regisseur Luca Villo zum Beispiel. Trotzdem seien es nicht nur Studenten, die zu den Veranstaltungen kommen, sagt Manca, sondern viele, die generell an italienischer Kultur interessiert seien. Häufig geht es darum, die italienische Kultur auch den Deutschen nahe zu bringen.
Dieses Ziel hat auch „Volare“, wie Chiara Rottaro, eine der Mitbegründerinnen, mir bei einem „caffé“ erzählt: „Wir haben den Verein 2011 gegründet, in der Zeit zwischen Berlusconi und Monti, weil wir wollten, dass die Leute hier in Deutschland auch einmal etwas Positives aus Italien hören, sehen, dass es Menschen gibt, die sich engagieren.“ Sie hätten sich geschämt für die italienische Politik und Lust gehabt, dem etwas entgegenzusetzen. Seit 2012 gibt es einmal jährlich das italienische Kulturfestival mit Lesungen, Theaterstücken, Konzerten und, nicht zu vergessen, einem italienischen Markt auf dem Friedrich-Ebert-Platz.
Weiter in die Plöck. Denn was wäre eine Heidelberger italienische Reise, ohne über Essen zu sprechen? Pasquale Longobardi hat vor sechs Monaten das „La Bruschetta“ übernommen, einen kleinen italienischen Lebensmittelladen mit Mittagstisch. Seit 1994 ist er in Heidelberg, der Arbeit wegen. Mit Alfredo Iommazzo, dem Vorbesitzer des „La Bruschetta“, ist er fast ebenso lang befreundet. „Ich glaube, wir haben uns im Cave kennengelernt. Damals trafen sich immer alle Italiener im Cave.“ Als Alfredo der Laden zu viel wurde, fragte er Pasquale, ob er ihn übernehmen wolle. „Hier ist italienischer Boden“, habe er ihm gesagt. Damit das so bleibt, kocht nun Pasquale. Was er vom italienischen Leben in Heidelberg hält? „Früher war mehr los. Mehr ‚communità‘, Gemeinschaft.“ Nun mache jeder so sein Ding. Rottaro hingegen sagt, sie habe das Gefühl, heute kämen mehr Italiener als früher. „Natürlich habe ich keine Studien, aber das ist mein Eindruck.“ Was treibt sie ausgerechnet nach Heidelberg? „Die Arbeit wahrscheinlich. Man kennt schon jemanden hier und zieht dann hinterher“, meint Longobardi. Doch auch die Uni spielt eine Rolle. „Viele machen Erasmus, verlieben sich in die Stadt und kommen zurück – wie ich“, berichtet Manca. Die Krise! Natürlich. Oder die Liebe. „Ich kenne viele, die es deswegen hierherzieht“, erzählt Rottaro.
Die meisten Italiener sind bestens integriert. Wer neben mir bei „La Bruschetta“ an der Bar „un espresso!“ bestellt, ist oft Deutscher. Dennoch, meint Rottaro, falle jungen Leuten, die wie sie mit 20 Jahren gekommen seien, die Integration leichter. „Wenn man älter ist, dann ist es schwerer, sich von bestimmten Dingen zu lösen.“ Das fange schon bei banalen Beispielen an: „Dieser deutsche Spruch: ‚Es gibt keine schlechte Kleidung, nur schlechtes Wetter.‘ Und dann packen sie die Gummihose aus.“ Als Italienerin denke sie da: „So ein Unsinn, natürlich gibt es schlechtes Wetter!“ Doch abgesehen davon mache Heidelberg es einem leicht: „Man sagt ja über München, es sei die nördlichste Stadt Italiens. Ich glaube das könnte man von Heidelberg genauso gut behaupten.“
Von Anna Vollmer