Israelische Start-ups bewirken einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung im Land. Der erreicht die arabische Minderheit aber kaum. Auf einer Spurensuche in Nazareth
Wummernde Bässe, abgewetzte Barstühle und neonfarben beleuchtete Schnapsflaschen. Die typische Umgebung und Lautstärke einer Bar im Zentrum von Tel Aviv. Eher deplatziert sind die im Halbdunkel hell leuchtenden Laptopbildschirme, bedient von Anzugträgern, die gespannt auf eine Leinwand schauen. Auf Hebräisch wird „Hybrid“ vorgestellt; ein Programm zur Förderung arabischer Start-ups. Die sprichwörtlich an jeder Straßenecke und zu jeder Tageszeit stattfindenden Treffen junger Unternehmer gehören zum Stadtbild.
In Tel Aviv befindet sich die höchste Start-up- Dichte im ganzen Land, vor allen in den Sektoren Finanzwesen, IT und High-Tech. Mehr noch: In Israel, dem „Silicon Wadi“ des mittleren Ostens, befindet sich einer der höchsten Start-up Dichten weltweit. Der USB-Stick, ICQ, Intel-Computerchips, Soda-Club, und ja, sogar das Epiliergerät – alles israelische Entwicklungen, die unser tägliches Leben revolutioniert haben. In der Mittelmeermetropole sind Geschäftstreffen in einer Bar also nichts Ungewöhnliches. Weitaus befremdlicher ist, dass über arabische Start-ups gesprochen wird. Die gibt es nämlich kaum, da die florierende Start-up-Szene hauptsächlich von der jüdischen Mehrheit getragen wird.
Darüber hinaus beschränken sich arabische Unternehmen auf traditionelle Sektoren wie Landwirtschaft, Bau oder Transportwesen. Nicht wenigen zufolge ist das der Grund für die hohe Anzahl an arabischen Familien, die unter der Armutsgrenze leben. Woher kommt das? Rassismus, Chancenungleichheit oder kultureller Unterschied? Auf einer Spurensuche geht die Reise nach Nazareth, der inoffiziellen arabischen Hauptstadt Israels. Im obersten Stockwerk eines strahlend weißen Neubaus befinden sich die Büros des Nazareth Business Incubator Center (NBIC), eine von der Regierung unterstützte Institution, die arabischen Start-ups bei ihren ersten Schritten hilft.
Fadi Swidan, der Direktor des NBIC, tritt auf den Balkon seines Büros und deutet mit einer weit ausholenden Bewegung auf die dicht bebauten, umliegenden Hügel, wobei er über die soziale Situation der arabischen Minderheit spricht: „Wir wollen einen Wandel bewirken.“
Leichter gesagt als getan. Während er arabischen Kaffee aus einem Miniatur-Pappbecher trinkt, erläutert Fadi Swidan anhand von Graphen die Situation: „Als ich hier angefangen habe, gab es überhaupt keine wirtschaftliche Infrastruktur, ein Start-up-Ökosystem in Nazareth war schlichtweg nicht vorhanden.“ Wie viele vor ihm versuchte er der Ursache des durchschlagenden Erfolgs in Tel Aviv auf den Grund zu gehen. Er deutet auf ein Bild, bei dem drei Zahnräder ineinandergreifen. „Die drei maßgeblichen Faktoren für Erfolg sind die Regierung, der private Sektor und die Akademie. In Nazareth hatte ich nichts außer der Regierung, die dieses Projekt unterstützt.“
Die zwei fehlenden Rädchen wurden inzwischen durch namhafte Firmen wie Microsoft und Think-Tanks ersetzt. Fehlten nur noch die Unternehmer und Investoren. „Wir wollen auch Vorurteile ändern“, wirft Fadi ein. Die meisten arabischen Unternehmen wären Familienunternehmen. „Sie verstehen nicht, was es bedeutet, einen Partner oder Investor zu haben.“ Diese sind aber vor allem bei Unternehmensgründungen von entscheidender Bedeutung. „Außerdem ist die arabische Einstellung zum Scheitern immens wichtig.“ In der jüdischen Geschäftswelt ist Scheitern allgemein akzeptiert. Sie versuchen es so oft wie nötig. „In der arabischen Gesellschaft verlierst du dabei dein Gesicht.“ Dementsprechend wenige gehen das Risiko einer Start-up Gründung ein. „Im Jahr 2014 hatten wir genug arabische Start-ups mit guten Ideen, aber kaum Investoren.“ Das Projekt wurde vom entfernten Tel Aviv aus mit Interesse verfolgt, aber Investoren ließen noch die Hände davon.
„Sexy, aber zu risikoreich!“, fasst es Fadi zusammen. Zwei Dinge gaben den entscheidenden Anstoß. Erstens: Die Regierung beschloss Unternehmensneugründungen von orthodoxen Juden oder Arabern, also Minderheiten, mit 500 000 Euro zu bezuschussen. Zweitens: Das Hybrid-Programm. Genau das Programm, das einige Tage zuvor in einer Bar in Tel Aviv vorgestellt wurde. Hybrid ist ein recht ungewöhnlicher und von vielen kritisch beäugter Ansatz, der arabische Unternehmer mit Veteranen der militärischen Einheit 8200 zusammenbringt.
Letzere haben sich während ihrer Zeit in der Armee vor allem mit Codeentschlüsselung beschäftigt. Heute werden 70 Prozent der israelischen Start-ups von Ex-8200lern geleitet.
„Sie haben auf allen Ebenen jede Menge Kontakte“, erläutert Fadi begeistert. Dazu das Know-how und die Risikobereitschaft. Gesammelte Erfahrungen geben sie nun an potentielle arabische Unternehmer weiter und stellen Kontakte zu Investoren her. Trotz des Fortschrittes, scheint Fadi vor überschwänglichen Enthusiasmus zurückzuschrecken: „Uns fehlt die erste Erfolgsgeschichte, die weitere Investoren anlocken könnte. Wir stehen erst am Anfang.“ Allerdings scheint besagte Erfolgsgeschichte in näherer Zukunft zu liegen: „Ich schätze bis dahin wird es circa fünf Jahre dauern.“
Von Monika Witzenberger
Aus Nazareth, Israel