Biggis außergewöhnlicher Second-Hand-Shop bietet neben Kleidung auch Lebensweisheiten
Suchend sehe ich mich um: Bergheimerstraße 17 – hier sollte es eigentlich sein! Dann erblicke ich das leuchtend gelbe Schild, auf dem in großen Buchstaben „MY WAY“ steht. Ich biege in die Passage ein, ein enger Gang zwischen den Häusern, der kaum auffällt. Und dann stehe ich direkt davor: „My Way Biggi Second Hand“, Heidelbergs Second-Hand-Shop, in dem sogar „Shopping Queen“ schon zu Gast war.
Vor der Tür sitzt eine Frau an einem kleinen Tisch, von drinnen höre ich schallendes Gelächter. Ich spreche die Frau an; Biggi – so heißt sie und möchte unbedingt geduzt werden. Sie führt den seit 2003 existierenden Second-Hand-Shop, der, wie sie mit starkem Heidelberger Dialekt betont, „Rundumbetreuung“ für die Kundschaft bietet. An der Tür steht „trau dich anders zu sein!“.
Ich trete ein und stehe in einem Meer von Kleidung, der gesamte Boden ist von verschiedensten Schuhen bedeckt, an den Decken hängen bunte Schirmchen. Mitten zwischen den Kleiderständern sitzen zwei Personen gemütlich an einem kleinen Tisch und unterhalten sich über ihren nächsten Urlaub.
Mir sticht ein langes fließend blaues Abendkleid ins Auge. Biggi erklärt, dass Abendkleider durch die Abibälle momentan Saisonware sind. Ganz hinten in der Ecke versteckt sich eine kleine Deutschlandfahne. Biggis Leidenschaft für Second-Hand hat nur einen Konkurrenten: Fußball!
Das Telefon klingelt, die fünfte Person, die heute anruft, weil sie etwas verkaufen möchte. Doch Biggi lehnt ab, sie nimmt keine Billigartikel an. Eine gute Marke erkenne man daran, dass die Kleidungsstücke aussähen wie neu, die Waschzettel aber schon nicht mehr lesbar seien.
Die Idee des Recycelns verfolgt Biggi schon lange, früher ist sie durch die ganze Welt gereist, um Second-Hand-Shops zu besuchen. Und auch bei der Verpackung führt Biggi dieses Konzept fort: Zuerst versucht sie, ihre Kundschaft zu überzeugen, die gekauften Artikel in eigene Taschen zu packen, ansonsten verwendet sie gebrauchte Plastiktüten. Sie hofft, dass Recycling auch in Deutschland populärer wird. Manche schämten sich zuzugeben, dass ihre Kleidung nicht neu sei. „Die Leute müssen begreifen, dass Second-Hand Cleverness und nicht Armut bedeutet“.
Die Verwendung von gebrauchten Artikeln sei nicht nur ökologisch, sondern auch für die eigene Gesundheit sinnvoll. Man müsse ein gewöhnlich hergestelltes Kleidungsstück sieben Mal waschen, bevor die enthaltenen Chemikalien auf eine vertretbare Konzentration gesunken seien. Erst nach 20 Wäschen seien sie komplett chemikalienfrei. Gebrauchte Kleidung wurde schon von dem vorigen Eigentümer gewaschen und ist somit nicht mehr derart belastet.
Lebensweisheiten verteilt Biggi gerne und das nicht nur zum Thema Recyceln: Jeder der vorbeikommenden Passanten setzt seinen Tag mit einem neuen Ratschlag fort, wenn er „My Way“ hinter sich gelassen hat. Ein hagerer Mann mit einer Zigarette in der Hand denkt nun über ein neues Medikament nach, das ihm dabei helfen könnte, mit dem Rauchen aufzuhören; eine Frau wird am Abend ausprobieren, die Striche auf ihren weißen Schuhen mit acetonfreiem Nagellack zu entfernen. Und wenn Biggi ausnahmsweise keinen Ratschlag parat hat, ruft sie den Passanten „schick bis ins Genick“ hinterher.
Als Lebensberaterin war Biggi auch schon tätig, als sie noch hauptberuflich im CAVE – dem Studenten-Jazzclub in der Krämergasse – angestellt war. Jetzt profitiere sie von ihrem früheren Arbeitsplatz, da viele Leute sie aus dieser Zeit noch kennen würden und Biggi über jeden Menschen in der Stadt mindestens eine Geschichte zu wissen scheint. Als Türsteherin lernte sie dort eine ihrer wichtigsten Grundsätze: „Bluff ist die halbe Miete“. Sie muss lachen und erzählt mir sogleich eine weitere ihrer unzähligen Geschichten:
Einmal war sie spät abends noch ganz alleine in ihrem Laden und hörte, dass sich draußen Leute aufhielten. Sie fürchtete, dass es sich hierbei um Einbrecher handelte, deswegen begann sie laut und dumpf zu bellen. Als Erwiderung auf meinen ungläubigen Blick machte sie mir vor, wie sie damals bellend in ihrem Laden stand. Hätte ich es nicht besser gewusst, wäre ich davon ausgegangen, dass sich ein riesiger, aggressiver Hund zwischen der Kleidung und den Schuhen aufhielt, der nur darauf wartete zwischen den Kleiderständern hervorzuspringen und anzugreifen. Die vermeintlichen Einbrecher verschwanden fluchtartig.
Bezüglich ihrer Produkte gilt dieses Motto jedoch offensichtlich nicht: Bei der Auswahl der zu verkaufenden Artikel ist Biggi sehr präzise, sie weiß genau, welche Artikel ausgefallen und ihren Preis wert sind. Der Laden sei die Schule ihres Lebens. Sie habe Erkenntnisse gewonnen, die man zuvor vergessen habe ihr mitzuteilen. Falls auch ihr einen Ratschlag oder ein Kompliment benötigt oder ihr ausgefallene Kleidungsstücke ökologisch und zu einem guten Preis in einer urigen Atmosphäre erwerben, Biggi kennen lernen und gleichzeitig eure Plastiktüten loswerden möchtet, ist „Biggis My Way Second Hand Shop“ genau das Richtige.
Von Lina Rees