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Pro
Die bewusste Wahl, Kunst im öffentlichen Raum zu präsentieren, findet ihren Kern wohl darin, dem Bedürfnis nachzukommen, sie der ihr zugehörigen Gesellschaft nahezu uneingeschränkt zugänglich zu machen. Mit Urban Art wird man also mehr oder minder freiwillig konfrontiert. Sich mit dem Wahrgenommenen inhaltlich auseinanderzusetzen wäre eine Konsequenz, sie gedankenverloren zu übersehen eine andere.
Klar ist, dass Urban Art als Wandmalerei einen vorantiken Ursprung hat. Über diese Rezeptionsgeschichte hinaus provoziert Urban Art, indem sie sich der elitären, akademischen Gesellschaft, die sich gern als Wächter der Kunstgeschichte sieht, abwendet. Diese Gegenbewegung vom Salonfähigen, hin zu einer neuen Erwartungshaltung gegenüber der Kunst, gab es nicht zuletzt mit dem Impressionismus. Um das Phänomen dieser raueren Kunst nachvollziehen zu können, geht es also über die Ablehnung des Etablierten oder Bezüge zu historischen Vorfahren hinaus. Urban Art adressiert die Öffentlichkeit, im Idealfall wird sie sogar thematisiert. Das bekannteste Kollektiv ist wohl Banksy. Politisch provokant wurde Banksy Teil einer neuen Wahrnehmung des urbanen Stadtbildes. Indem Banksy insbesondere Konsum- und Gesellschaftskritik ausübt, gehört das Kollektiv zu einer Reihe politisch motivierter Künstler. Das inzwischen übermalte, übergroße Graffiti des ertrunkenen syrischen Flüchtlingskindes Ayman Kurdi in Frankfurt am Main ist ein weiteres Beispiel, wie Graffiti als Teil von Urban Art in der Öffentlichkeit wirken kann: Indem es international für Aufsehen sorgt und beim Einzelnen eine tatsächliche Betroffenheit auslöst.
Dennoch, Urban Art ist eher negativ konnotiert. Was nicht zuletzt daran liegt, dass sie in einem sensiblen Umfeld zu Hause ist: in der Öffentlichkeit. Zwischen Rücksicht und Narrenfreiheit bewegt sich Urban Art in einem Milieu, das sowohl dem Bedürfnis nach Aufklärung und Meinungsfreiheit hinterherrennt, sich aber persönlich angegriffen fühlt, wenn die Regionalbahn besprüht wird. Die Straße gleicht einem Atelier, es wird experimentiert und schnell wird klar: Nicht alles was Urban ist, ist Art. Lassen wir der Stadt Zeit, zu selektieren.
Von Anica Skibba
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Contra
Eine das Stadtbild aufwertende Kunst ist im öffentlichen Raum eine Seltenheit. Es dominieren vielmehr amateurhaft angefertigte, lieblose Schmierereien sowie obszöne Geschmacklosigkeiten, deren künstlerische Ansprüche gering sind. Ist es daher gerechtfertigt von Urban „ART“ zu sprechen?
Verfassungsrechtlich betrachtet stellt Kunst jede schöpferische Betätigung dar, die einer Formensprache zuzuordnen und vielfältiger Interpretation zugänglich ist. Schutz genießen dabei neben traditionellen auch neuartige Formen. Kunst darf demnach viel: provozieren, anprangern, radikal sein, unabhängig von subjektiver Ästhetik. Die grundgesetzlich gewährleistete Kunstfreiheit geht Kants Gedanke entsprechend indes nur so weit, wie sie Rechte Dritter tangiert.
Zunächst ist an den zufälligen Betrachter zu denken, der anders als an Orten etablierter Kunstvermittlung sich nicht aus freien Stücken zum Konsum entscheiden kann. Ihm wird das sogenannte „piece“ aufoktroyiert. Besonders unangenehm, wenn der Betroffene plötzlich täglich dem Ausblick auf ein verstörendes, düsteres Werk ausgesetzt ist.
Auch für die öffentliche Sicherheit ist es problematisch, wenn großflächige, im Stadtbild störende Werke aufgrund ihres ablenkenden Charakters zur ernsten Verkehrsgefährdung werden.
Besonders einschneidend wirkt es sich aber für den betroffenen Eigentümer aus, der einiges an Scheinen für die Fassadenreinigung lassen muss. Die Invasion eines urbanen Artisten kann eine gepflegte Wohngegend über Nacht kurzerhand in eine heruntergekommene verwandeln. Dieses unerlaubte Verändern fremder Flächen zieht im Übrigen in aller Regel zivil- und strafrechtliche Sanktionen nach sich.
Eine solche, als rechtswidrig aufgedrängte Kunst einzustufende Eigentumsverletzung schlicht hinzunehmen ist dem Inhaber unzumutbar, unabhängig davon, welcher noch so begnadete Künstler am Werk war.
Urban Art hat eine Daseinsberechtigung. Solange es den Werkschaffenden gelingt, ihre Kreativität auch für das (Er)finden alternativer Projektionsflächen einzusetzen, um eine legale öffentliche Wahrnehmung möglich zu machen.
Von Cathrin Schierling
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