Wenige kennen die libanesische Band Mashrou Leila. Warum sie trotzdem die ideale Wahl für das Eröffnungskonzert des Enjoy Jazz Festivals war.
„Ya lldahsah ma ajmalahum“ bedeutet frei übersetzt aus dem Arabischen „Was für eine schöne Überraschung!“. Und das war das Eröffnungskonzert des Enjoy Jazz Festivals, gespielt von der libanesischen Band Mashrou Leila, auch: eine wunderschöne Überraschung.
Fast schüchtern begrüßt Frontsänger Hamed Sinno die voll besetzte Stadthalle. Mit glitzerndem Armband, schwarzer Strumpfhose, schwarzem Tanktop, blond gefärbten Haaren und einem schwarzen Schnauzer nimmt er vor dem Mikrophon Aufstellung. Ohne viel Aufheben folgt der Rest der fünfköpfigen Band. Große Worte von Oberbürgermeister Eckhardt Würzner und Ministerin Theresia Bauer über die Wichtigkeit von Kultur in Zeiten „großer Umbrüche“ und das politischen Statement, das an diesem Abend gesetzt werden solle, schrauben die Erwartungen hoch.
Das erste Lied ist unerwartet meditativ. Trotzdem oder wahrscheinlich genau deswegen zieht es das Publikum sofort in einen Bann. Hypnotisch erklingt die Stimme Hamed Sinnos, der mit dem Mikro verwachsen zu sein scheint, und jeden einzelnen Ton mal mit rauchiger, mal mit opernhaft kraftvoller Stimme und durchdringendem Vibrato ausschmückt. Begleitet wird er von einer immer wieder in den Vordergrund tretenden Violinstimme, gespielt von Haig Papazaian. Schlagzeuger Carl Gerges sorgt für rhythmische Beats. Firas Abou Fakher und Ibrahim Badr spielen gleichzeitig Gitarre, Bass und Keyboard. Besonders letztere sind verantwortlich für die elektronischen Synthesizertöne, die das neueste Album „Ibn el Leil“, was übersetzt „Söhne der Nacht“ bedeutet, prägen. Schon beim zweiten Lied fangen viele Füße zu wippen, viele Köpfe zu nicken an. Während des dritten Liedes, bei dem Hamed Sinno sowohl seine durch ein Megaphon verzerrte Stimme, als auch seinen Hüftschwung einzusetzen weiß, drängen sich an den Wänden erste Tänzer, die es auf den Sitzreihen nicht mehr hält.
Wo auch immer die Band auftritt, bewirkt sie eine ähnliche Begeisterung. Das ist schon seit ihrer Gründung 2008 in Beirut so. Die Bandmitglieder, alles Studenten an der American University of Beirut, trafen sich anfänglich zu nächtlichen Jamsessions – daher auch der Bandname Mashrou Leila, was „Übernachtprojekt“ bedeutet. Schon bald waren sie bekannte Größen in der Indie-Underground Szene in Beirut. Aber was macht sie jetzt so besonders? Arabische Pop- oder Rockbands gibt es viele, aber wie viele schaffen es auf das Cover der Zeitschrift Rolling Stones, wie viele sind bei einer MTV Übertragung dabei und wie viele bringen eine volle Heidelberger Stadthalle zum Tanzen, obwohl sie nur auf Arabisch singen? Ihre Musik ist eine Mischung aus Rock, Jazz und Elektro; also genau das Gegenteil der schmalzig süßen, arabischen Musik, die für ihre Halbtonmelodik bekannt und für westliche Ohren so ungewohnt ist. Das wirklich besondere aber sind ihre Texte: Es geht natürlich um Liebe, aber auch um gesellschaftliche Normen, Politik und Sexualität. In Jordaniens Hauptstadt Amman wurde ein Auftritt wegen der politischen Kritik und der homosexuellen Thematik ihrer Lieder verboten. Im Musikvideo zum Song „Fasateen“ läuft zum Beispiel eine Frau im Brautkleid durch die Straßen und stellt sich am Ende als Mann im Brautkleid heraus. Zudem bekennt sich Frontmann Hamed Sinnan offen zu seiner Homosexualität, was in vielen arabischen Ländern immer noch als unnatürlich und verboten gilt. Sayid, der ebenfalls aus Beirut kommt, bringt es nach einigem Überlegen auf den Punkt: „Sie sorgen für so viel Aufmerksamkeit, weil sie nicht nur über Liebe, sondern auch über politische, religiöse und sexuelle Probleme der arabischen Gesellschaft singen. Das wiederrum macht sie so anders, verglichen mit klassischen, arabischen Bands. Vor ihren Konzerten gibt es immer Unruhen, da es manche für unangebracht halten, solche Worte in Liedern zu verwenden.“ Gemeint ist unter anderem der häufige Gebrauch von Schimpfwörtern in ihren Texten.
Inzwischen singt, klatscht und tanzt der halbe Saal der Stadthalle direkt vor der Bühne. Die Weltpremiere von Mashrou‘ Leila mit dem berühmten Saxofonisten Ilhan Ersahin ergibt eine sehr harmonische Jazzversion zweier ihrer Lieder. Im Hintergrund laufen während des ganzen Konzertes kunstvolle Musikvideos: Die leere Weite der Wüste, minimalistische, schwarz-weiße Gesichtsausschnitte arabischer Frauen oder eine impressionistischen Straßendarstellung, neben der Menschen hinter Dämonenmasken versteckt ausgelassen trinken und feiern. Auch Hamed Sinnan tanzt immer wilder auf der Bühne und bringt die Menge zum Kochen. Was als relativ ruhiges Konzert angefangen hat, endet unter tosendem Applaus als explosive Tanzparty: „Ya lldahsah ma ajmalahum!“ oder um es mit Hamed Sinnans Worten auszudrücken: „This was fucking amazing!“
Von Monika Witzenberger