Im Dom zu Speyer haben Historiker und Mathematiker eine Grabplatte entschlüsselt. Sie soll Aufschluss über das Weihedatum des Gotteshauses geben
Inmitten von Rheinland-Pfalz liegt die kleine Stadt Speyer. Seit mehr als 900 Jahren zieht sie Menschen aus unterschiedlichsten Ländern zu sich. Oft trifft man in den hübschen Gassen neben begeisterten Touristen auch bekannte Historiker und Archäologen. Sie alle kommen in die Stadt um den berühmten Speyerer Dom zu sehen – den größten romanischen Dom Europas.
In seiner langen Geschichte hat das Denkmal schon einiges erlebt. Der massive Bau wurde von dem salischen Kaiser Konrad II im Jahre 1025 angesetzt und dauerte mehr als 80 Jahre. So konnte erst sein Urenkel Heinrich V den Dom wenige Wochen nach dem Tod seines Vaters fertigstellen. Mit dem Tod von Heinrich V endete die Dynastie der Salier, deren sterbliche Überreste nun friedlich im Dom ruhen. Soviel steht fest. Doch wann wurde der Dom zum eigentlichen Gotteshaus? Nach den Daten der Wissenschaftler wurden Gottesdienste bereits an der „Baustelle“ gefeiert. Laut den Archiven wurde der Dom sogar mehrmals in der Geschichte geweiht. Zuerst zwischen 1040 und 1050, aber auch später im 13. Jahrhundert. Dies hatte damit zu tun, dass die genauen Informationen zu der ersten Weihe zu dem Zeitpunkt bereits verloren waren, und so mussten die Priester nochmal auf „Nummer sicher gehen“. Seit der neueren Zeit wurde die Feststellung des ersten Weihedatums zu einer Art „Quest“ für die deutschen Historiker.
Die ersten Versuche mehr über die frühe Geschichte des Doms herauszufinden begannen in 1900, mit den Grabungsarbeiten des Herrn Grauert. Dank ihm wurden die Gräber der Kaiser und Könige zum ersten Mal seit mehreren Jahrhunderten ans Licht gebracht. Die Archäologen hatten Glück: in einigen Bleigräbern blieb neben den Leichen auch sogenannte Grabauthentik erhalten.
Die größte Freude bereiteten jedoch nicht die Kupfer-Kronen und reichlich verzierten Mäntel, sondern einfache Bleitafeln mit eingeritzten Texten.
„Ein Grab direkt mit Beschriftung mit Angaben wer, wann und wie in ihm begraben wurde ist ein Traum des Archäologen“ sagt Matthias Untermann, Professor für Mittelalterliche Kunstgeschichte an der Uni Heidelberg. Zu einer besonderen Entdeckung wurde die Bleiplatte aus dem Grab von Gisela – der Ehegattin von Kaiser Konrad II. Die Inschrift auf ihrer Tafel sollte laut den Protokollen von Grauert insgesamt 14 Zeilen enthalten. Doch heute sind nur noch die ersten drei sichtbar. Laut Grauerts Notizen gab die Inschrift an, dass bei der Bestattung der Kaiserin im Jahre 1043 mindestens zwölf Bischöfe anwesend waren – eine Ehre, die keinem deutschen Kaiser zuvor und auch lange danach nicht erwiesen wurde.
Als die modernen Wissenschaftler an diese Daten gestoßen sind, gab es erstmals einen großen Aufschwung, da diese ein neues Rätsel versprachen. Leider durften die Protokolle von Herr Grauert nicht als eine glaubwürdige Quelle betrachtet werden – schließlich gab es keinen Beweis dafür, dass der leicht vorgeritzte Teil des Textes überhaupt existierte.
Ein Weg es herauszufinden hat in diesem Jahr Matthias Untermann vorgeschlagen: er ging zu den Mathematikern, um die Oberfläche der Tafel durch die am Zentrum für Wissenschaftliches Rechnen Heidelberg entwickelte Software GigaMesch zu analysieren. Laut den Entwicklern ist dies eine rein geometrische Methode, welche auf der computerisierten Analyse der Flächenverkrümmungen in den einzelnen Punkten des Scans beruht. Sie wurde bereits 2012 entwickelt und bis jetzt, vor allem zur Entzifferung der Keilstrichtafeln verwendet. Der Ansatz von Untermann war einfach – wenn der heute unleserliche Text tatsächlich an der Bleitafel leicht vorgeritzt war und erst wegen Oxidation von Blei verschwand, wären an den Stellen, wo die Buchstaben waren in definierter Tiefe (erkennbar aus den leserlichen drei Zeilen) Oberflächenunterschiede vorhanden. Diese könnte man mit der Software GigaMesh identifizieren und zu den Buchstaben rekonstruieren. So kam die Tafel in die Hände der Mathematiker aus der Gruppe von Susanne Krömker. Der Text wurde durch das Entfernen vom „Bleioxid-Rausch“ und Darstellung mithilfe von Falschfarben wieder sichtbar und entsprach dem, was Grauert angegeben hat.
Nun durften die Historiker wieder Detektiv spielen. Dass eine so große Anzahl an Bischöfen unmöglich in den vier Wochen nach dem Tod der Kaiserin nach Speyer geholt werden konnte, ist nicht zu bezweifeln. Eine Synode oder ein großes kirchliches Fest hatte zu dem Zeitpunkt in Speyer laut Chroniken nicht stattgefunden. Wozu konnten so viele Bischöfe sonst gemeinsam im Vorfeld eingeladen werden? Herr Untermann konnte als Ursache die Erstweihe des Speyerer Doms nennen.
Der Tod von Gisela wäre somit ein unglücklicher Zufall, der vor dem Eintreffen der zwölf Bischöfe unerwartet geschah. Dies würde auch die nahezu hastig und deshalb unvollständig gravierte Grabtafel, welche später unleserlich wurde, erklären.
Natürlich ist dies nur eine Vermutung, wie auch die Hälfte von dem, was wir über die mittelalterliche Geschichte zu wissen glauben. Und doch ist es sehr wahrscheinlich und laut Herrn Untermann „freuen sich viele von uns schon mal, wenn man ein Datum hat.“
Von Elizaveta Bobkova